Plädoyer für die Grundlagenforschung
Vor Kurzem erst, da am CERN die Teilchen zum ersten Male mit zuvor noch unerreichten Energien kollidierten, da waren sie wieder einmal zu hören – die stets misstrauischen, ewig nörgelnden Stimmen mancher Medien und Organisationen, die unermüdlich jene alte Frage stellen, warum denn all dies nötig sei.
Warum so viel Geld, so viele Ressourcen verwenden und vielleicht verschwenden für etwas, das dem Menschen im Konkreten kaum in irgend einer Weise nützlich sei? Hätten nicht mit eben diesen Summen die Leben so vieler armer Leute gerettet werden können? Hätte man nicht Millionen Hungernde ernähren, Millionen Frierende wärmen können, anstatt Protonen aneinander prallen zu lassen? Warum das Ganze? Wem nützt es, was hilft es, was bringt es, wenn irgendwo in Genf irgendetwas, das 99% der Menschen nicht verstehen, von statten geht, sodass irgendwann in ein paar Jahren ein paar wenige WissenschaftlerInnen vielleicht sagen können: „Aha, es gibt das Higgs-Teilchen also doch. Das ist aber schön“? Ist es das wert?
Eben diese Fragen hört man neuerdings wieder sehr häufig. Und oft gehen manche Medien – auch manche Politiker – gar so weit, der Grundlagenforschung jeglichen Sinn abzusprechen. Man hetzt gegen jene weltfremden, schier unmenschlichen ForscherInnen, die weit an Nützlichkeit und dem realen Leben vorbei arbeiten. Man verlangt, dass Wissenschaft konkret dem praktischen Bedarf des Menschen diene, dass sie gar Gewinne bringe, dass sie sich in voller Konsequenz an der Alltäglichkeit orientiere und bessere, was daran zu verbessern ist – zum Wohle aller und zum Wohle der Wirtschaft.
Wird nun ein/e WissenschaftlerIn mit eben diesen heiklen Vorwürfen und Fragen konfrontiert, so hört und sieht man ihn/sie meist mühselig nach Worten suchen. Meist werden dann in leicht gekünsteltem Ton einige Spin-off Produkte aufgezählt, die die Grundlagenforschung ja immerhin gebracht hat: Ja, durch die Astrophysik kamen wir zur CCD – sonst könnte man heute nicht so schöne Bilder machen. Und nach allem, was wir am CERN lernen können, gelingt es uns vielleicht einmal besser Krebs zu heilen.
All das klingt angesichts des Aufwands, der damit verbunden ist, nur leidlich überzeugend. Und die ForscherInnen, welche diese Argumente äußern, fühlen sich dabei oft selbst nicht wohl – denn in ihrem Innersten da fühlen sie, dass sie sich im Grunde selbst belügen – und die Presseleute sowieso.
Denn in Wahrheit wissen sie, dass es hier um etwas ganz Anderes – etwas Größeres – geht, etwas, das sich nur schwer in Worte fassen lässt – und besonders nicht in solche Worte, die den Medien und den Alltagsmenschen leicht verständlich wären. Und dennoch sollte man nach diesen Worten suchen. Und umso wichtiger ist es, sie auch zu sagen.
Warum forschen wir? Warum investieren wir so viel Kapital und Energie in etwas, das uns kaum bereichert, das nur sporadisch Gewinne einbringt, das nur gelegentlich etwas uns Dienliches hervorbringt und das selten oder nie zu Ruhm, Macht oder sonst was führt? Was soll der Mist? Wozu dieser Unsinn? Warum forschen wir?
Weil es die Welt gibt und wir es uns zur Aufgabe gemacht haben sie zu verstehen. Vor Jahrtausenden stellten sich unsere Vorfahren irgendwann zum ersten Mal die Frage nach dem großen Warum. Und seither hat der Mensch stets dieses eine Ziel verfolgt: Die Welt verstehen, zu begreifen, woher alles kommt und wohin alles geht, zu sehen, woraus die Dinge bestehen, wie sie entstanden und wie sie vergehen. Darum forschen wir.
Es ist das Gesamtprojekt aller Naturwissenschaften eine kohärente Geschichte des Universums zu schreiben, vom Urknall, über die Entstehung der Elemente, die Geburt der Sterne, bis zum Funken des Lebens und zum Werden des Menschen. Eben dies – die Beschreibung des Universums – auch die Vorhersage über die künftige Entwicklung des Universums – ist das größte Unterfangen der Menschheitsgeschichte. Es ist dieser Durst nach Erkenntnis, der uns erst zu Menschen macht und der letztendlich zu all den Errungenschaften führte, die unserer heutiges Leben erst möglich machen. Alles begann mit dem Wunsch, die Welt zu verstehen. Darum forschen wir.
Viel ist geschehen. Viel Dunkles wurde enthüllt. Die Welt ist gewachsen und der Horizont des bekannten Wissens rückte weit in die Ferne. Der Rätsel bleiben noch viele, doch manche hat man in Zusammenarbeit großer Zahlen von Menschen jeglicher Herkunft bis weit jenseits der Alltagswelt verdrängt. In unsagbar hohen Energien und schier unendlich kleinen Größenskalen muss man bereits vorstoßen, um manche der verbliebenen Rätseln zu lösen.
Doch man darf hier nicht stehen bleiben. Das wäre so, als hätten die ersten Erkunder der Erde am Rande des Ozean halt gemacht, anstatt Schiffe zu bauen. Die Wissenschaft ist ein beständiges Segeln am Rande der Welt. Und dies aufgeben, hieße einen großen Teil dessen aufgeben, was den Menschen ausmacht. Es geht hier nicht um bloßen Messbarkeitswahn. Wir wollen nicht die Welt vermessen, wir wollen das Universum verstehen, als Teil das Ganze erkennen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies überhaupt möglich sei. Dies ist aber auch bei weitem kein Grund, es nicht zu versuchen.
Was wollen jene Kritiker der Grundlagenforschung? Das man einfach Halt macht im Versuch? Dass man inne hält und wartet, bis die Welt ein perfekter Ort geworden ist, um erst danach weiter zu forschen? Dabei bietet dieses Streben nach dem scheinbar Unmöglichen doch Inspiration für so viele. Es ist eine Ehre hier einen Beitrag zu leisten, mit zu schreiben am großen Buche der Wissenschaften, auf den Schultern all jener zu stehen, die vor uns kamen und sich dieselben Fragen stellten, wie wir heute.
Dieser alte Traum, dass der Mensch als Teil des Universums das Ganze zu begreifen lernt, ist mehr wert als der kurzfristige Segen von Gewinn und Profitmaximierung, er ist, was der Spezies Mensch eine gewisse Größe verleiht und fast all unsere Errungenschaften, fast alles, das unseren heutigen Alltag bestimmt ist Ergebnis der Grundlagenforschung früherer Jahrhunderte und Jahrtausende. Natürlich sollte der Mensch danach streben seine Lebensbedingungen zu verbessern, aber dies muss einhergehen mit dem Streben die Welt, in der er lebt, zu verstehen. Und solange wir weiter forschen, solang wir noch nach unentdeckten Wissensinseln suchen, solang wir diese Träume träumen, könnte an jedem Tag neues Land in unser Blickfeld rücken und die Welt, wie wir sie kennen, von Grund auf umgestalten und verändern. Wir wissen noch sehr wenig. Wir stehen vielleicht gerade erst am Beginn. Und darum forschen wir.
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