Analyse gezielter Polemik

Im folgenden Beitrag möchte ich den Text des Kufsteiner Stadtrats Walter Thaler im Stadtmagazin vom Oktober 2022 analysieren, welcher ein hervorragendes und lehrreiches Beispiel gezielter Polemik auf kommunalpolitischer Ebene darstellt.

Der Text beginnt damit, dass meiner Person Worte in den Mund gelegt werden, die ich niemals gesagt und niemals geschrieben habe – und dies nicht als Paraphrase, sondern in Form der direkten Rede. Die Aussage, dass Kameraden nicht mehr zeitgemäß wären, wurde niemals von mir geäußert. Mir eine solche Wortmeldung in direkter Rede zuzuschreiben, grenzt an den Strafbestand der „Üblen Nachrede“ und wäre eigentlich klagbar. Ich habe lediglich ein paar Gründe genannt, warum ein Lied mit starkem soldatischen Kontext, das das Wort „Kamerad“ im Titel trägt, nicht mehr jeden einzelnen Tag von einem Instrument gespielt werden soll. Daraus folgt aber nicht im geringsten die unsinnige Behauptung, dass Kameraden an sich nicht mehr zeitgemäß wären. Natürlich sind sie das. Statt auf meine Argumente einzugehen, legt man mir hier Dinge in den Mund, die ich nie gesagt habe, um mich moralisch zu diskreditieren. Diese Vorgehensweise ist unredlich, unfair und unwürdig.

Ähnlich absurd und unwahr ist die Behauptung, ich würde Feuerwehren, Musikkapellen, Traditionsvereine oder gar Pflegepersonal in irgendeiner Art und Weise gering schätzen oder sie gar als unzeitgemäß ansehen. Das ist doch Unsinn. Zahlreiche Traditionsvereine Kufsteins, bei deren Versammlungen ich immer wieder zu Gast bin, wissen nur zu gut, wie sehr ich sie persönlich schätze und wie wichtig ich ihren ständigen, ehrenamtlichen Einsatz für Kufstein erachte. Feuerwehren, Sicherheitskräfte, Pflegekräfte – sie alle haben für unsere Gesellschaft einen unschätzbaren Wert und ich applaudiere allen, die Teil dieser Stützen unserer Gesellschaft sind. Es gehört schon viel geistige Verrenkung dazu, aus dem Vorschlag, die Geschichte eines Musikinstrumentes aufzuarbeiten, ableiten zu wollen, dass ganze Berufsklassen nicht zeitgemäß wären. Mir so etwas zu unterstellen, ist haarsträubend.

Die Andeutung, dass „unser Steuergeld“ dafür verwendet würde, um Teilnehmer einer Diskussion (pro und kontra Aufarbeitung) zu bezahlen, ist vor allem deshalb interessant, weil dem Verfasser obiger Zeilen zur Zeit ihrer Abfassung längst bekannt gewesen sein muss, dass keiner der vier Diskutanten ein Honorar verlangt. Wider besseren Wissen wird hier also etwas unterstellt, das man als bewusste Täuschung der Leser:innen interpretieren könnte.

Im weiteren Verlauf des Textes beklagt der Verfasser offenbar, dass besagte Diskussionsteilnehmer von mir ausgewählt wurden. Dabei wurde Walter Thaler im Vorfeld angeboten, selbst einen Sprecher oder eine Sprecherin für seine Position zu nominieren. Er hätte also die Möglichkeit gehabt, selbst jemanden auszuwählen, hat dies aber nicht getan. Im Übrigen hielt er es nicht einmal für angebracht, auf besagte Einladungsnachricht meinerseits eine Antwort zu geben.

In der zweiten Spalte wird nun noch der Versuch unternommen, eine Quelle zu diskreditieren, indem darauf verwiesen wird, dass die Festung Kufstein darin fälscherlicherweise als „Geroldseck“ bezeichnet wird. Hätte sich der Verfasser nur ein bisschen mit der Geschichte Kufsteins auseinandergesetzt, so müsste er wissen, dass diese Bezeichnung zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit verbreitet und unter anderem in den „Innsbrucker Nachrichten“, um die es hier geht, gang und gäbe war. Im Stadtmagazin vom April/Mai 2022 hat unsere Stadtarchivarin Milena Prommegger einen sehr informativen Artikel darüber geschrieben. Auch diesen hat der Verfasser offenbar nicht gelesen. Jedenfalls sagt es nichts über die Verlässlichkeit einer Quelle der damaligen Zeit aus, wenn dieser damals übliche Ausdruck darin Verwendung findet.

Im letzten Absatz argumentiert der Verfasser nun, dass Diskussionsrunden oder Arbeitskreise zu diesem Thema nicht sinnvoll wären und verweigert sich der Teilnahme daran. Dabei sollte einer funktionierenden Diskussionskultur innerhalb einer Demokratie doch ein hoher Stellenwert beigemessen werden. „Beim Red’n kemmen d’Leit z’sam“ heißt es schon im Volksmund. In einer parlamentarischen Demokratie spielt eben das Miteinander Sprechen (parler) eine bedeutende Rolle. Dies zu verweigern oder ins Lächerliche zu ziehen, erachte ich als zutiefst undemokratisch. Wer nicht miteinander redet, verharrt bei vorgefassten Meinungen und hat einfach keine Lust oder Angst davor, sich ernsthaft mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen. Dies aber gehört zum Aufgabenbereich gewählter Volksvertreter:innen.

Abschließend möchte ich noch festhalten, wie wichtig es ist, einander wertzuschätzen – auch wenn man bei einzelnen Themen anderer Meinung sein sollte. Polemische Texte wie der hier analysierte sind leider fernab jeglicher Wertschätzung. Dennoch hoffe ich, dass wir uns auch weiterhin in die Augen schauen, die Hände schütteln, bei einem Bier miteinander anstoßen und gemeinsam Gutes für Kufstein erwirken können – so wie auch schon in den letzten sechs Jahren.

Kufsteiner Physik-Schüler räumt ab

Die gänzlich in englischer Sprache verfasste Arbeit untersucht die rätselhafte Eigenschaft von Wasser, welches schneller gefriert, wenn es zuvor erwärmt wurde. Obwohl dieser Effekt schon in Antike und früher Neuzeit bekannt war, geriet er lange in Vergessenheit und wurde erst 1969 vom tansanischen Schüler Erasto Mpemba wiederentdeckt. Roman Eder kommt diesem Phänomen mit raffinierten Experimenten und tiefschürfender Literaturrecherche auf die Schliche und überzeugt dabei auf voller Linie. Die Arbeit ist von einer wissenschaftlichen Publikation auf Universitätsniveau kaum zu unterscheiden und erlangt nun verdiente Würdigung.

Ein Diskussionsbeitrag

Es freut mich sehr, dass mein Antrag zum gesellschaftlich-kulturellen Aufarbeitungsprozess in Sachen Heldenorgel so reges Interesse auf sich gezogen hat. Ganz unabhängig davon, wie die Sache ausgeht, ist ein Ziel damit schon erreicht: Die Orgel ist im Gespräch. Ihre Geschichte wird beleuchtet. Man diskutiert darüber, führt spannende Debatten – sei es am Stammtisch oder auf Facebook. All dies ist gewissermaßen schon Teil des erwünschten Aufarbeitungsprozesses. Diese Diskussion tut unserer Stadt sehr gut, da sie viel Unausgesprochenes ans Licht bringt. Ich habe auch den Eindruck, dass sie bei vielen neues Interesse für Kommunalpolitik entfacht und vielleicht einen kleinen Beitrag dazu leistet, bei den nächsten Wahlen eine höhere Beteiligung zu erzielen. Wunderbar.

Da aus vielen Kommentaren leider hervorgeht, dass manche den ursprünglichen Antrag gar nicht kennen, möchte an dieser Stelle noch ein paar Erläuterungen anbringen:

Mein Antrag hat drei Teile: Infotafeln – Umbenennung – Schlusslied. Ich würde es bereits als Erfolg werten, wenn wir in einem oder zwei dieser drei Punkte eine Veränderung erreichen könnten. Manche behaupten hier, mir gehe es allein um die Umbenennung. Das stimmt einfach nicht. Man sollte auch nicht die von mir vorgebrachten Argumente für die einzelnen Punkte in einen Topf zu werfen. So habe ich z.B. den Nationalsozialismus nur in Bezug auf Punkt 1 (Infotafeln) erwähnt. Bei Umbenennung und Schlusslied spielt er keine Rolle. Irrig ist auch die Annahme, es würde um den Begriff „Held“ an sich gehen, da dieser bereits problematisch wäre. Das hab ich nie gesagt. Problematisch ist die bei der Einweihung im Mai 1931 gesetzte Rahmung dieses Begriffes, die rein gar nichts mit Frieden und zivilen Heldentum zu tun hat, sondern eng mit einer ethno-nationalistischen Weltsicht verbunden ist.

Man sollte auch noch einmal betonen, dass ich nicht der Erfinder jener Argumente bin, die ich im Antrag vorbringe. Fast alle wurden in ähnlicher Formulierung schon von akademischer Seite in den letzten Jahren publiziert. Hier möchte einmal mehr auf die 2019 erschienen Schrift „Disposition“ von Lucas Norer verweisen. Da diese unter einer Creative Commons Lizenz steht, erlaube ich mir die pdf unten anzuhängen und sie all jenen ans Herz zu legen, die sich eingehender mit der Geschichte der Orgel beschäftigen wollen. Da das Interesse für das Thema sehr groß ist, hoffe ich auch, dass beim geplanten Vortrag von Dr. Franz Gratl zu Thema „Der Name der Orgel“ am 17. 10. im Kultur Quartier viel Publikum zu erwarten ist. Ich freue mich auf die anschließende Diskussion. Dr. Gratl ist auch Autor von Band 6 der „Edition Kufstein“ im Rahmen des Projektes „Kufstein schreibt Stadtgeschichte“. Dieses wird am 30. November präsentiert und natürlich wird die Orgel – vielleicht aber auch die gegenwärtige Diskussion – darin eine Rolle spielen.

Jedenfalls zielt es ins Leere, wenn man mir mangelndes historisches Bewusstsein vorwirft, wo ich mich doch auf Historiker und Musikwissenschaftler berufe und diese klar zitiere. Als Physiker und Philosoph maße ich mir selbst kein historisches Urteil an, sondern vertraue den Experten, die ich in meinem Antrag angeführt habe. Schon Sophokles sagte: Don’t shoot the messenger.

Ansprechen möchte ich auch die Zeitungsumfrage, die in diesem und anderen Kommentar-Threads schon öfters verlinkt wurde. Diese verwundert mich gar nicht. Um ehrlich zu sein, hätte ich noch vor einem Jahr selbst für eine Beibehaltung des Namen „Heldenorgel“ gestimmt, da mir dieser eigentlich immer sehr gut gefiel. Ich kann also gut verstehen, dass viele Menschen diese Option wählen. Vor einem Jahr hätte ich auch noch dazugehört.

Aber dann wurde ich gebeten, mich der Sache anzunehmen. Ich habe gelesen, recherchiert, Gespräche geführt. Sehr frappierend war die Lektüre jener Reden, die zur Einweihung der Orgel 1931 geschwungen wurden und die man in der Nr. 101 der „Innsbrucker Nachrichten“ aus dem Jahr 1931 nachlesen kann.  Es war ein langer Prozess: Aber je mehr ich darüber in Erfahrung brachte, desto klarer wurde mir, dass hier etwas geschehen sollte.

Es wundert mich also überhaupt nicht, dass eine Mehrheit jener Menschen, die diesen Rechercheprozess nicht selbst mitgemacht haben, der Meinung sind, die Orgel solle ihre Namen behalten. Ohne fundierte Recherche ist die Problematik eben schwer zu sehen. Aber bei vielen Fragen kommt es eben nicht auf das Bauchgefühl an, sondern darauf, in die Meinung von Experten (und hier meine ich nicht mich, sondern Gratl, Norer, et al.) zu vertrauen.

Ich bin der Meinung, dass viele Menschen, die für den Verbleib beim ursprünglichen Namen gestimmt haben, anders denken würden, wenn sie sich die Zeit nehmen würden, dieselben Quellen zu studieren und Gespräche zu führen, wie ich es getan habe. Deshalb bin ich auch ein großer Fan von ausgelosten Bürgerräten, in denen die Menschen sich zuerst fundiert informieren und hernach zu Entscheidung gelangen. Eine einfache Abstimmung, in der oft ohne die nötige Vorinformation aus dem Bauch heraus entschieden wird, eignet sich im vorliegenden Fall jedenfalls nicht. Man vertraut ja auch auf einen Piloten, wenn man in ein Flugzeug steigen. Kann man nicht auf Historiker und Musikwissenschaftler vertrauen, wenn es um den Namen einer Orgel geht? Bei einer Umfrage wie dieser, kommt übrigens noch hinzu, dass bekannte politikwissenschaftliche bzw. psychologische Phänomene wie die sogenannte Status-quo Verzerrung zu tragen kommen.

Jedenfalls freut es mich sehr, dass ich in den letzten Tagen auch viel Zustimmung für meinen Vorschlag erhalten hatte. Bei dem aggressiven Ton, der auf Facebook herrscht, verstehe ich aber gut, dass viele mir ihre Zustimmung direkt zukommen lassen, als sie hier zu posten. Ich danke aber auch jenen, die klar gegen meine Vorschläge sind, dies hier aber in sachlich Ton vorbringen.

Jenen, die hier versuchen mich zu beleidigen oder zu diffamieren, möchte ich ein bisschen Gelassenheit empfehlen. Man kann auch sachlich und höflich miteinander diskutierten, ohne einer Meinung zu sein. Attackieren Sie Argumente, nicht Menschen. Das sogenannte „Argumentum ad hominem“ – also der versucht ein Argument zu entkräften, indem man die Person, die es vorgebracht hat, diskreditiert – gilt nicht umsonst als Scheinargument. (https://de.wikipedia.org/wiki/Argumentum_ad_hominem). Es spielt doch überhaupt keine Rolle, ob Sie meine Theaterstücke oder mich nun mögen oder nicht. Das hat rein gar nichts mit dem Thema zu tun. Es erstaunt mich auch, was manche Leute über mich zu wissen glauben. Etwa, dass ich nie Soldat gewesen wäre (Stimmt nicht.) oder, dass ich nie als Physiker wissenschaftlich tätig gewesen wäre (Sieben Jahre lang.). Aber selbst, wenn etwas davon wahr wäre, hätte das doch überhaupt nichts mit der Validität meiner Argumente zu tun. Dennoch: Diese Aussagen offenbaren zumindest, dass es um die Recherchefähigkeit jener Leute, die mir dergleichen unterstellen, nicht allzu gut steht. Wenn sie es nicht zu Wege bringen, meinen öffentlichen einsehbaren Lebenslauf durchzulesen, so kann man wohl zurecht auch an ihren Ausführungen in Sachen Orgel zweifeln.

In einem Punkt haben alle Kritiker:innen natürlich recht: Es gibt wichtigere Themen (z.B. den Klimawandel). Aber: Die Existenz wichtigerer Themen ist kein Argument dagegen, sich auch den nicht ganz so wichtigen zu widmen – besonders dann nicht, wenn kein anderes Thema deshalb später behandelt wird. Wer glaubt, irgendetwas würde in der Kufsteiner Gemeindepolitik langsamer vonstattengehen, nur weil man nebenbei über die Orgel redet, der irrt. Das Thema wurde an mich herangetragen, ich habe mir die Faktenlage angesehen und es entsprechend vorgebracht. Das würde ich auch bei anderen Themen, weil ich es als meine Aufgabe als Gemeinderat und Kulturreferent dieser Stadt ansehe, nicht nur still in Ausschüssen und Räten zu sitzen, sondern aktiv daran mitzuarbeiten, dass sich die Perle Tirols am grünen Inn eines blühenden, bunten kulturellen Lebens erfreut, das mutig auf Vergangenheit und Zukunft blickt. Dazu leiste ich gern meinen Beitrag – und das werde ich auch noch die nächsten fünfeinhalb Jahre tun.

Max Reisch: Indien – Lockende Ferne

Mit Begeisterung las ich in den letzten Tagen das Buch „Indien – lockende Ferne“ von Max Reisch, das allen geschichtsinteressierten Kufsteiner:innen doppelt ans Herz gelegt sei. Nicht nur, dass seine Motorradreise über Balkan, Türkei, Syrien, Irak, Iran und Indien bis nach Bombay zu einer Zeit, da richtige Straßen noch rar waren, ein ungeheures, technisches Wagnis darstellte – er verstand es auch mit poetischer Sprache, Liebe zum Detail und viel Humor von all den Abenteuern am Wegesrand in so bildgewaltiger Sprache zu schreiben, dass man meint, man wäre selbst dort gewesen. Bemerkenswert ist auch seine Liebe zur Natur, sein Bewusstsein für das verklärte Auge des Eurozentrismus („westliche Überheblichkeit“) und sein Interesse für die Kulturen des Orients. Seine Schilderungen sind spannend, schön und teilweise erfrischend komisch. Die Episode mit dem Euphrat-Wasser, bzw. die Schilderung des Sturzes an der ungarischen Grenze zeugen von einem herrlichen Sinn für Selbst-Ironie und Komik. Ein Besuch der Max-Reisch Sonderausstellung am Timmelsjoch ist sicher lohnenswert.


Ich werde mich aber auch dafür einsetzen, dass man auch in Kufstein den Abenteuern des Max Reisch ein deutlicheres Andenken setzt. Die Pläne für eine Erweiterung des Heimatmuseums auf der Burg in Richtung eines Pioniermuseums gibt es ja schon lange. Hier soll in den nächsten Jahren endlich etwas geschehen.

Die Episoden ganz am Ende des Buches – in Amritsar, Delhi, Agra, Jhansi, Gwalior und Bombay – waren für mich persönlich von besonderem Interesse, hat Indien doch auch mich gelockt und bin ich doch vor sieben Jahren vier Monate lang dort herumgereist – allerdings mit öffentlichen Verkehrsmitteln. In Amritsar scheint sich seit damals tatsächlich nicht viel verändert zu haben. Die von Max Reisch geschilderten Gefühle beim Anblick des Goldenen Tempels der Sikhs und später des Taj Mahal kann ich jedenfalls sehr gut nachempfinden, habe ich doch beides in ähnlicher Weise persönlich erlebt. Und weiter lockt die Ferne …

Zur Umbenennung der Heldenorgel

Antrag gemäß §41 TGO an den Gemeinderat der Stadt Kufstein

Antragsteller: Klaus Reitberger

„ORGEL-RELAUNCH“

Der Gemeinderat möge beschließen:

Unter wissenschaftlicher Beratung ist ein gesellschaftlich-kultureller Aufarbeitungsprozess einzuleiten, dessen erklärtes Ziel 1) eine überarbeitete Darstellung der Geschichte der Kufsteiner Freiluftorgel auf Infotafeln und Internetseiten, 2) eine Umbenennung des Instrumentes sowie 3) die Auswahl eines anderen, am Ende des täglichen Mittagskonzertes gespielten Musikstückes, ist. Punkt 2) und 3) sollen dabei auf basisdemokratischem Wege mit möglichst breiter Beteiligung der Kufsteiner Bevölkerung geschehen.

Begründung:

Im Stadtalbum „Kufstein im 20. Jahrhundert“ stellt der Musikwissenschaftler und Leiter der Musiksammlung des Tiroler Landesmuseums Dr. Franz Gratl auf S. 175 fest, dass

„angesichts der problematischen Geschichte wohl ein ‚ideologischer Relaunch‘ des Instruments und eine gründliche, kritische und tabulose Dokumentation seiner Geschichte im Festungshof dringend geboten [wären].“[1]

In der Publikation „Disposition“ des Jahres 2019, die sich speziell mit der Kufsteiner Freiluftorgel beschäftigt und u.a. auch Texte von Franz Gratl und Michael Gerhard Kaufmann enthält, schreibt der preisgekrönte Kunstwissenschaftler und Künstler Lucas Norer:

„Das Spiel der Heldenorgel fußt auf einem Gedankengut, das ein totalitäres, völkisches und militantes Hörerlebnis intendierte. Sind das nicht Gründe genug in einer demokratisch-pluralistischen Gesellschaft hellhörig zu werden? Die Heldenorgel benötigt dringend eine gesellschaftlich-kulturelle Aufarbeitung.“[2]

Ausgehend von diesen beiden Stellungnahmen, hab ich mich selbst eingehend mit der Thematik beschäftigt und folgende Argumente für die im Antrag erwähnten Maßnahmen gefunden:

Gründe für die überarbeitete Darstellung der Geschichte der Kufsteiner Freiluftorgel:

Kufsteins Leistungen in Sachen Vergangenheitsbewältigung sind in meinen Augen vorbildhaft. Mit der Publikationsreihe „Kufstein im 20. Jahrhundert“ sowie diversen Vorträgen von Seiten des Heimatvereins bzw. den wertvollen Arbeiten des Film- und Videoclubs wird und wurde hier viel geleistet. Umso frappierender ist der blinde Fleck, den die Kufsteiner Freiluftorgel in all dem einnimmt:

Auf den Informationstafeln im Bürgerturm, aber auch auf den dazugehörigen Internetseiten der Stadt und Festung Kufstein, wird die Geschichte des Instruments vereinfacht und verfälscht dargestellt. So steht etwa im Bürgerturm geschrieben, dass die Orgel ursprünglich zum Gedenken der Opfer des 1. Weltkrieges errichtet worden wäre. Den wichtigen Zusatz, dass es dabei nur um Soldaten ging – genauer gesagt, nur um deutsche bzw. deutschsprachige Soldaten, und etwa nicht um alle anderen für die Donaumonarchie gefallenen Soldaten nichtdeutscher Volksgruppen – wird verschwiegen. Über die spätere Vereinnahmung der Orgel durch die Nationalsozialisten findet man kein Wort.

Noch problematischer ist die Infotafel über den Orgel-Initiator Max Depolo. Weder werden seine kriegsverherrlichenden, deutschnationalen und antiitalienischen Gedichte, noch seine spätere Mitgliedschaft in der NSDAP erwähnt.

Überhaupt wird die spätere Vereinnahmung der Orgel durch den Nationalsozialismus nirgends thematisiert. Der Umstand etwa, dass dieses Instrument zum Geburtstag Adolf Hitlers deutschlandweit im Reichsrundfunk zu hören war[3], sollte nicht einfach unerwähnt bleiben. Unbequeme Wahrheiten wie diese sollte man nicht ängstlich verschweigen, sondern mutig thematisieren und in den rechten Kontext rücken.

Jemand der vor diesen Infotafeln steht und ein bisschen der Recherche fähig ist, wird diese Auslassungen merkwürdig finden und der Stadt Kufstein hier mangelnde Fähigkeit zur Vergangenheitsbewältigung vorwerfen können. Zurecht. Eine Überarbeitung dieser beiden Infotafeln, eine Ergänzung durch eine Infotafel zur späteren Vereinnahmung der Orgel durch den Nationalsozialismus (etwa basierend auf dem entsprechenden Text in der Publikation „Disposition“) wäre auch in meinen Augen dringend geboten.

Auch für Punkt zwei und drei dieses Antrags – die Umbenennung des Instrument und die Wahl eines neuen Liedes – lassen sich durchaus gute Argumente finden. Nennen wir jeweils drei.

Argumente für die notwendige Umbenennung des Instrumentes

  1. Völlig unabhängig von irgendwelchen geschichtlichen Verfänglichkeiten ist es ein logisch-semantischer Widerspruch, ein Instrument als „Heldenorgel“ zu bezeichnen und gleichzeitig sein Spiel als Gedenken an die Opfer aller Kriege und Gewalt – wie es auf Infotafeln und im Internet zu lesen ist – interpretieren zu wollen. Damit wird suggeriert, dass alle Opfer aller Kriege und aller Gewaltakte schon „Helden“ wären. Die eigentliche Bedeutung des Wortes Held geht dabei vollkommen verloren und wird gewissermaßen entwertet. Jedem Menschen, der Logik und Semantik hochhält, sollten hier die Haare zu Berge stehen.
  2. Auch wenn die Orgel heute den Opfern aller Kriege gedenken soll, so schwingt in ihrem Namen dennoch die ursprüngliche Intention mit, eben nur „als Heldenmal des deutschen Volkes […] dem Andenken aller im Weltkrieg gefallenen deutschen Helden“[4] zu dienen, so wie es Orgelbaumeister Oscar Walcker 1931 im einem Zeitungsartikel ausdrückte. Von zivilen oder gar nicht-deutschen Opfern war damals nie die Rede und der Begriff „Held“ erinnert daran. Schon 1924 wollte Max Depolo die geplante Orgel als Kulturdenkmal des deutschen Volkes verstanden wissen, welches geschlossenes Volksempfinden, Deutschlands Größe, Macht und Stärke wiedererwecken sollte.[5] Bundespräsident Wilhelm Miklas stellte in seiner Rede zur Einweihung der Orgel am 3. Mai 1931 klar, dass sie dem Gedächtnis „aller im Weltkrieg gefallen Kriegshelden deutschen Stammes“[6] geweiht ist und daher den Namen Heldenorgel trägt. Ein klare Abgrenzung von dieser ursprünglich streng ethno-nationalistischen und militaristischen Ausrichtung der Orgel kann in meinen Augen nur durch eine Umbenennung erzielt werden. Der derzeitige Name des Instruments ist zu eng mit einer chauvinistischen, nationalistischen Ideologie und der ursprünglichen Intention der Orgel verbunden.
  3. Als drittes Argument für eine Umbenennung der Orgel sei noch genannt, dass sich gegenwärtig große Teile der nicht-männlichen Bevölkerung beim generischen Maskulinum „Helden“ nicht mehr mitgemeint fühlen und auch darum eine inklusivere Benennung angebracht wäre.

Argumente für die notwendige Wahl eines anderen, am Ende des täglichen Mittagskonzertes gespielten Musikstückes

  1. Das Lied vom „Guten Kameraden“ ist in erster Linie ein soldatisches Lied. Wenn man die Orgel aber als Mahnmal an die Opfer aller Kriege und aller Gewalt interpretieren will – also ausdrücklich auch an die zivilen Opfer – so  steht dies im Widerspruch damit, dass das Instrument täglich sein Konzert mit einem soldatischen Lied endet.
  2. Die dritte Strophe des Liedes erzählt davon, wie ein Soldat seinem von einer Kugel getroffenen Freund nicht die Hand reichen kann, weil er nachladen muss. Das Nachladen ist darin wichtiger als das Helfen des Freundes. Vaterlandstreue und Befehlsgehorsam werden hier klar zu höheren Werten als Freundschaft und Mitgefühl erklärt. Man fragt sich, ob dies die richtige Botschaft für unsere Zeit ist.
  3. Man sollte auch bedenken, woher Menschen, die nach Kufstein kommen und die Orgel hören, das Lied vom „Guten Kameraden“ kennen, bzw. was sie damit verbinden. In der Populärkultur der Gegenwart ist dieses Lied durchaus präsent. Viele kennen es aus der deutschen Fernsehserie „Babylon Berlin“, welche eine der erfolgreichsten und teuersten Serien im deutschen Sprachraum ist. Laut Statistiken wurde sie via sky über 10 Millionen mal gesehen[7]. Dazu kommen circa. 8 Millionen Zuseher:innen im ARD[8]. Da diese Zahlen nur bis 2018 reichen, kann man inzwischen von über 20 Millionen Konsument:innen ausgehen. Diese Serie spielt in den Jahren 1929 und 1930, also genau zu jener Zeit, als in Kufstein die Orgel kurz vor der Realisierung stand. Teil der Handlung ist auch eine Fraktion von militanten Nationalisten, welche im Zuge der ersten Staffel mehrere politische Morde und sogar Bombenanschläge verüben. In mehreren Folgen ist man Zeuge von Zusammenkünften dieser Fraktion; dabei wird stets gemeinschaftlich das Lied vom „Guten Kameraden“ gesungen. An die 20 Millionen deutschsprachige Serienfreunde kennen das Lied, das die Kufsteiner Orgel täglich spielt, also aus dem Fernsehen als das Lieblingslied von Terroristen.

Zum Thema Bürgerbeteiligung und Basisdemokratie

Bei einem Thema wie diesem, das vielen Bürger:innen nahegeht, ist es wichtig, dass die Bevölkerung Teil des Entscheidungsprozesses ist. Eine konkrete Vorgehensweise könnte sein, dass alle Kufsteiner Bürger:innen Vorschläge zur Namensgebung der Orgel und zum täglichen Musikstück beim Stadtamt einbringen dürfen und hernach in einem auszuarbeitenden Abstimmungsprozess darüber entscheiden. Es soll auch unterstrichen werden, dass der Umbenennungsprozess der Orgel keinesfalls als traditionsfeindlich verstanden werden soll. Gewiss finden sich einige der lokalen Tradition verbundene Namensvorschläge, die frei von ideologischer Vorbelastung sind. So könnte die Wahl zum Beispiel auf den Begriff „Freiheitsorgel“ fallen, der einerseits als Würdigung der Tiroler Freiheitskämpfe von 1809, sowie auch als Verweis auf das Streben nach Freiheit von Diktatur und Fremdbestimmung verstanden werden kann. Zudem würde der Begriff „Freiheitsorgel“ gut zum Namen der „Friedensglocke“ in Kufsteins Partnerstadt Roverto passen. Die Alpenpassage von Süd nach Nord würde somit von Frieden zu Freiheit führen. Dies sei aber nur als Beispiel, als möglicher Vorschlag von vielen zu verstehen. Auch für die Wahl des Liedes gäbe es viele Möglichkeiten, manche mit stark traditionellem Bezug. Ob es nun aber das „Kufsteiner Lied“ von Karl Ganzer oder die Europahymne oder ganz etwas anderes sein soll – die Kufsteiner Bevölkerung soll darüber befinden. Nicht zur Wahl stehen soll freilich der ursprüngliche Name und das ursprüngliche Musikstück, da es gegen diese, wie oben ausgeführt, klare Argumente gibt.

Fazit:

Ich freue mich, in einer Stadt zu leben, in der täglich von der Festung ein wunderbares Instrument erklingt. Ich freue mich auch, in einer Stadt zu leben, der man kein fehlendes historisches Bewusstsein vorwerfen kann, in einer Stadt, die mutig auf Vergangenheit und Zukunft blickt. Die größte Freiluftorgel der Welt hätte sich jedenfalls eine ehrliche, auslassungsfreie Darstellung ihrer Geschichte und einen würdigeren Namen verdient. Auf dass sie noch Jahrhunderte lang klingen möge!

Dieser Antrag, sowie die pdf zur Publikation „Disposition“ wird umgehend der Presse und allen Gemeinderäten zugesandt.

Am Ende dieser langen, doch hoffentlich nicht langweiligen Begründung, soll in Anlehnung an Bertolt Brecht noch folgender Satz stehen, denn mit ihm ist eigentlich alles gesagt:

Unglücklich die Stadt,
die Helden nötig hat.

Kufstein, 8.6.2022                                                                               Unterschrift des Antragstellers


[1] Gratl, F. (2021). Klangdenkmal, Kuriosum, Relikt – die Heldenorgel. In Stadtgemeinde Kufstein (Hrsg.), Vom Stadtl zur Stadt. Kufstein im 20. Jahrhundert. Ein Stadtalbum (S. 174f).

[2] Norer, L. (2019). Zur Disposition. In L. Norer (Hrsg.), Disposition (S. 31-36).

[3] vgl. Gratl F. (2019). Entstehung und Geschichte der Kufsteiner Heldenorgel. In L. Norer (Hrsg.), Disposition (S. 9-13).

[4] vgl. op.cit.

[5] vgl. op. cit.

[6] Das deutsche Te Deum auf Geroldseck. Innsbrucker Nachrichten. 1931. Nr. 101

[7] Krei A. (2017): Sky-Erwartungen übertroffen – Quoten-Fazit: So viele Zuschauer sahen „Babylon Berlin“. DWDL. https://www.dwdl.de/zahlenzentrale/64695/quotenfazit_so_viele_zuschauer_sahen_babylon_berlin/

[8] Mipletz S. (2018): Babylon Berlin: So waren die Quoten zum Start der teuersten deutschen Serie. TV Spielfilm. https://www.tvspielfilm.de/news/serien/babylon-berlin-so-waren-die-quoten-zum-start-der-teuersten-deutschen-serie,9556601,ApplicationArticle.html

Joseph Roth: „Radetzkymarsch“

Ca. 20 Jahre ist es her, dass mich Axel Cortis Verfilmung dieses Romans begeisterte. Nun habe ich endlich auch das Buch gelesen. Ein Genuss! Selten wurde die komplexe Psychologie des österreichischen  Selbstverständnisses kurz vor der Zeitenwende des 1. Weltkriegs mit so viel Feingefühl und Tiefgang zu Papier gebracht. Joseph Roths Sprachgewalt vermag zu bezaubern. Er beleuchtet den Aufstieg und Untergang einer Adelsfamilie vor dem Hintergrund des zerbröckelnden Habsburger-reiches. Welch abgründige Szenen, welch unheilvolle Vorahnungen durchweben dieses 1932 erschienene Werk! Einfach famos!

Das weckt Lust, wieder einmal die Verfilmung an- zusehen, auch des grandiosen Max von Sydow wegen, der nach letzten Rollen in Game of Thro-nes und Star Wars 2020 verstarb, 63 Jahre nach seinem Schachspiel mit dem Tod in Ingmar Bergmans Das siebente Siegel. Welch Karriere!