Pelluchon: „Manifeste animaliste“

Es ist erhebend und erfrischend zugleich, wie die französische Philosophin Corine Pelluchon in ihrer kurzen, doch prägnanten Streitschrift Manifest für die Tiere klar darlegt, dass Massentierhaltung und andere Varianten speziesistischer Neo-Sklaverei der Menschheit kurz- und langfristig weit mehr Schaden zufügen, als sie Nutzen erbringen. Der französische Titel des Werkes Manifeste animaliste trifft den Kern der Botschaft wesentlich besser, ist diese Schrift doch nicht nur ein Manifest für die Tiere, sondern auch für die Menschen – ein anti-speziesistisches Aufbegehren gegen in Tradition verhaftete Ungerechtigkeiten vieler Art, auf welche künftige Generationen wohl mit ähnlicher Scham und Abscheu zurückblicken werden, wie die Menschen der heutigen Zeit es bei Betrachtung des antiken und neuzeitlichen Sklavenhandels tun. Das Anfangszitat von Abraham Lincoln passt in diesem Zusammenhang besonders gut.

Theoretischer Unterbau dieses doch sehr knappen Büchleins ist wohl Pelluchons bisheriges Hauptwerk Wovon wir leben, in welchem sie eine Art neue Existenzphilosophie umreißt, welche den Menschen weniger als geistiges, in seiner Umwelt autarkes Wesen, sondern vielmehr als Tier in seiner Abhängigkeit natürlicher Ressourcen zeigt. Das werde ich wohl noch lesen müssen. Und ich werde es gerne tun.

Das Manifeste animaliste versteht sich als zeitgenössisches Update zu Peter Singers Animal Liberation. Im Unterschied zu Singer gründet Pelluchon ihren „Neo-Animalismus“ aber nicht mehr rein auf utilitaristische Argumentationsketten. Eine ebenso große, wenn nicht größere Rolle spielt eine auf Mitleid und Mitgefühl basierende Ethik, die doch mitunter an Schopenhauer erinnert. Letzterer hätte mit dem Manifeste animaliste wohl seine Freude gehabt.

Das Buch entlarvt die wirkmächtigen Verdrängungseffekte, welche die heutige Massentierhaltung erst möglich machen. Gleichzeitig zeigt es Verständnis für all jene, die aus Tradition oder ökonomischer Notwendigkeit Teil dieser globalen Missbrauchs Maschinerie sind und warnt davor, allzu schnell anzuklagen. Der Animalismus darf nicht selbst zum Dogmatismus werden. Und doch gilt es, an der anti-speziesistischen Forderung festzuhalten, dass die Interessen nichtmenschlicher Tiere ebenso berücksichtigt werden sollten, wie jene der Menschen. Ihr Leben sei für sie ebenso wichtig wie das unsrige für uns.

Die Politisierung der Tierfrage scheine unvermeidbar, um nachhaltige Veränderungen herbeizuführen. Dabei müsse man aber sowohl rationale wie auch emotionale Wege wählen. Die Ratio allein vermöge nicht, ausreichend Menschen zu einer Veränderung ihrer Lebensweise zu bewegen.

Spannend ist auch jene Passage, in der die Autorin den „vollständigen und hemmungslosen Mangel an Achtung vor dem Leben“ beleuchtet, der dem Status-quo-Kapitalismus zu Grunde liege und sogar einen Zusammenhang aufzeigt zwischen „Terrorismus und der Gewalt, die wir gegen andere Menschen und nichtmenschliche Tiere ausüben“.

Der Animalismus wird definiert als „philosophische, kulturelle und politische Bewegung, in der Menschen zusammenkommen, die sich durch ihre Lebensweise und ihr kollektives Handeln für den Schutz der Interessen von nichtmenschlichen Tieren einsetzen“. Er legt nahe, dass eine Aufnahme der Tiere in Ethik und Recht zugleich eine Erneuerung des Humanismus bedeute. Letztlich steuere man auf eine Welt zu, in der es nicht mehr legitim sein werde, ein anderes empfindungsfähiges Wesen auszubeuten.

Im Schlussteil liefert Pelluchons Manifest auch einige konkrete Handlungsvorschläge. Das Ende der Gefangenschaft von Tieren im Zirkus und Tierpark steht dabei nur am Beginn einer langen Kette von Forderungen, denn „Nur mit einem gespaltenen Bewusstsein kann man sich am Anblick anderer empfindungsfähiger Tiere erfreuen, die in Gefangenschaft leben müssen.“ Auch die schrittweise Rückkehr von der intensiven zur extensiven Tierhaltung bei drastischer Verringerung des Fleischkonsums wird als realistische Perspektive erörtert. Auch die positiven Auswirkungen auf die Verhinderung der Erderwärmung kommen hierbei zur Sprache. Die Erweiterung eines vegetarischen und veganen Speisenangebots in allen Städten und Institutionen versteht sich von selbst. All dies sei laut Pelluchon auch mit anhaltender wirtschaftlicher Prosperität vereinbar. Die Rolle von Künstler*innen und Intellektuellen im Zuge dieser Entwicklung wird ebenfalls diskutiert.

Am Ende schließt das Buch freilich mit jenen Worten, die in einem Manifest nicht fehlen dürfen: „Animalisten aller Länder, aller Parteien, und aller Konfessionen, vereinigt euch!“

Die veganen Kasspatzl, die ich gestern gekocht habe, schmeckten nach dieser Lektüre besonders gut.