
„Survival of the Friendliest“ von Brian Hare & Vanessa Woods ist ein kurzes, doch inhaltsstarkes Buch, welches den Lesenden ungeahnte Zusammenhänge zwischen evolutionärer Anthropologie und Gegenwartspolitik vor Augen führt.
Warum sind Hunde und Bonobos zur kooperativen Kommunikation mit anderen Spezies befähigt, nicht aber Schimpansen? Der Schlüssel zum Verständnis liegt im der Evolution zugrunde liegenden Prinzip der natürlichen Auslese, das bei manchen Spezies klar jene Individuen bevorzugt, welche einen höheren Grad von Kooperation oder Freundlichkeit aufweisen. So kommt es zur Domestizierung oder – wie bei Mensch und Bonobo – zur Selbst-Domestizierung. Letztere wird des Weiteren als Hauptantrieb der frühen technologischen Revolution im Pleistozän identifiziert, welche dem Homo sapiens den entscheidenden Überlebensvorteil gegenüber anderen Hominiden gab. Schlüsselelement war Kooperation als Kriterium der Selektion.
Dies wird im Buch anhand vieler Beispiele und Studien anschaulich erklärt. Auch neurologische und biochemische Zusammenhänge werden klar dargelegt. So sind ein auf Kooperationsvermögen basierter Selektionsdruck eng mit dem körpereigenen Serotonin- und Oxytocinhaushalt verknüpft.
Politisch hochbrisant wird das Buch dann, wenn die Dynamik der Dehumanisierung erläutert wird, welche starke Zusammenhänge mit Oxytocin und demnach auch mit der Evolutionsgeschichte des Menschen aufweist. Die zitierten Beispiele und Studien zeigen auf, wie die Selbst-Domestizierung des Menschen zwar einerseits mit mehr Kooperation und Empathie innerhalb der eigenen Gruppe, aber gleichzeitig mit gesteigertem Aggressionspotential gegenüber dem Fremden einherging. Diese In-Group/Out-Group Dichotomie äußert sich am klarsten, wenn der Out-Group schlichtweg ihr Mensch-sein abgesprochen wird. Die erschütternden Umfragen, die im Buch zitiert werden, zeigen auf, wie verbreitet dieser aggressionsgenerierende Manipulationsmechanismus heute noch ist – und wie sehr er populistischen Bewegungen und der Alt-Right Bewegung in die Hände spielt. Als Beispiel dafür fungiert im Buch nicht nur Trump, dessen Reden und Tweets unzählige dehumanisierende Begriffe beinhalten – auch Victor Orbán, Marine Le Pen und Norbert Hofer bekommen ihr Fett ab.
Im zweiten Teil des Buches werden Mittel und Wege aufgezeigt, wie es gelingen kann, die dem Homo sapiens inhärente Prädisposition für Kooperation und Freundlichkeit auch auf die Out-Group auszudehnen. Der Begriff des „expanding circle“ kommt hier zu tragen. Der Weg dorthin führe interessanterweise nicht primär über mehr Bildung; einen viel stärkeren Beitrag zur Aggressionsprävention und zum Scheitern jeglicher Entmenschlichungspropaganda leiste vielmehr die von Kindheit an gepflegte Nähe zum Fremden und Anderen („sustained friendly contact“). Eine gegenseitige Abschottung von Mehrheiten und Minderheiten verhindere den Konflikt nicht, sie befördere ihn nur. Ein frühes Zusammenleben und Zusammenarbeiten (etwa Gruppenarbeiten in ethnisch oder religiös gemischten Schulklassen) werden im Buch als die wirksamste Impfung gegen Vorurteil und gegenseitige Dehumanisierung identifiziert. Auch das stark unterschiedliche Wahlverhalten in urbanen und ländlichen Gebieten ließe sich auf die jeweils unterschiedlichen Grade des zwischenmenschlichen Kontakts mit anderen Ethnien und religiösen Gruppierungen zurückführen. In weiterer Folge führen diese Überlegungen zu konkreten Forderungen, die einer funktionierenden Demokratie und einem friedlichen Zusammenleben förderlich sind, etwa die Wichtigkeit von öffentlichen Räumen, in denen man einander zwanglos und drucklos begegnen kann und die allen Menschen offen stehen. Vor allem die Begegnung, die Kooperation und der Dialog mit jenen, die uns am wenigsten gleichen, sorgen für den Abbau von Vorurteilen und schieben jeglicher Dehumanisierungsrhetorik einen Riegel vor.
Schließlich bietet das Buch noch eine Reihe von Daten, welche belegen, dass friedlicher, nicht gewaltsamer Widerstand bei der Durchsetzung neuer Staatsformen und Ideen historisch gesehen weit erfolgreicher war als gewaltbereiter Aktionismus oder Terrorismus. („Friendliness wins. Your peaceful effort is more likely to enact lasting change.”)
Im Schlusskapitel findet das Buch dann noch einmal zurück zur Tierwelt. Es wird nahegelegt, dass jene, die das Leid von Tieren ernst nehmen, auch mitfühlender gegenüber ihren Mitmenschen sind.
„Survival of the Friendliest“ ist ein sehr erhellendes Buch. Das beeindruckende Literaturverzeichnis zeugt von tiefschürfender Recherchetätigkeit. Die vorgebrachten Hypothesen leuchten nicht nur ein, sie sind auch mit einer Flut an Evidenz abgesichert. Durch die Lektüre werden die Antagonismen von Aggression und Zuneigung im Lichte der Evolution verständlich gemacht. Daraus resultieren eine schärfere Einschätzung der Gegenwart, konkrete Handlungsvorschläge für ein friedlicheres Miteinander und ein zuversichtlicher Blick in die Zukunft.