Auch am nächsten Morgen regnete es noch. Nach einem zweiten nassen Ausflug zum Kap besuchte ich das nahe Gandhi Memorial. Der schrullige, alte Museumswärter führte mich durch das Gebäude und erzählte voller Stolz von Gandhi, dem Vater der Nation. Das palastartige Memorial ist ein kurioser Mix verschiedener Stile, soll es doch eine harmonische Hybridversion von Moschee, Hindutempel und Kirche darstellen. Die Maße des Baus sind dabei im Verhältnis zu Gandhis Körpermaßen gewählt. In der Mitte der Haupthalle steht eine kleine schwarze Plattform. Zwei Tage nach Gandhis Tod wurde ein Teil seiner Asche hierher gebracht. Einmal im Jahr, an Gandhis Geburtstag, fällt das Sonnenlicht durch ein Loch in der Decke genau auf die Plattform. Bei diesem Gebäude hat man das Gefühl, dass die Gandhi-Verehrung fast religiöse Züge annimmt. Der Tsunami von 2004 hat auch hier einiges zerstört, etwa auch alle Fenster des Memorials. An der ganzen Küste gab es tausende Todesopfer.
Ich schleuste mich zum Frühstück in eines der teureren Hotels ein und tat mich am reichlichen Buffet gütlich. Hernach mischte ich mich unter den Pilgerstrom zum Kumari Amman Tempel. Die Göttin Kumari (anscheinend dieselbe, die in Kathmandu am Durbar Square wohnt) hat in grauer Vorzeit ein ganzes Dämonenheer besiegt. An die tausend und mehr Pilger kommen täglich hierher, um ihr dafür zu danken. Die Kleidungsvorschriften für den Tempelbesuch sind ähnlich wie in Madurai, mit dem Unterschied, dass Oberkörper-frei bei Männern nicht optional sondern obligatorisch ist. anscheinend mögen die weiblichen Gottheiten das so.
Trotz Regen und langer Wartezeit war es einer der schönsten Tempelbesuche dieser Reise, wohl vor allem deshalb, weil ich nicht als Tourist abseits stand, sondern mittendrin im Geschehen war und genau denselben Hokuspokus mitmachte, wie jeder hinduistische Besucher auch. Außerdem fehlte das sonst übliche Spendengeheische.
Fast eine Stunde lang hieß es im strömenden Regen Schlange stehen. Ich plauderte mit ein paar Jungs aus Maharashtra, die den weiten Weg hierher gemacht hatten. Nett war es auch unisono mit allen anderen in wütendes Protestgeheul auszubrechen, wenn sich wieder jemand vordrängeln wollte. Das Innere des Tempels war sehr dunkel und nur mit Kerzen erleuchtet. Leichte Geisterbahnatmosphäre. Gleich allen andern zog ich mit mein T-shirt aus. Im Dunkeln tauchen hinduistische Priester auf und malen einem eine Tika auf die Stirn. Man bekommt ein Fläschchen Ingwer-Öl und ein Säckchen roten Kumkuma-Pulvers in die Hand gedrückt. Das Öl ist an einer gewissen Stelle nahe dem Hauptschrein ins Feuer zu gießen. Was ich mit dem Kumkuma anfangen sollte, habe ich nicht recht begriffen. Ich behalte ihn mal als Souvenir. Nachdem man den Hauptschrein der Kumari passiert hat, gelangt man wieder ins Freie und erfreut sich wiedergewonnener Bewegungsfreiheit.
Auf die Fährfahrt zur Vivekananda und der Thiruvalluvar Insel mit ihrer riesenhaften musste ich ob der schlechten Witterung leider verzichten. Nach dem langen Stehen im Regen gönnte ich mir lieber eine trockene Stunde im Zimmer.
Etwas später besuchte ich noch Kanyakumaris Wachsfigurenmuseum, anscheinend das erste und einzige in ganz Indien. Es beherbergt ganze neun Wachsfiguren, darunter Gandhi, Einstein, Chaplin, Mutter Theresa, Papst Benedikt XVI und einen Obama, der überhaupt nicht nach Obama aussieht.
Am frühen Nachmittag, eben als der Regen plötzlich aufhörte, stieg ich in den Bus, der mich binnen drei Stunden in Keralas unaussprechliche Hauptstadt Thiruvananthapuram bringen sollte. Von dort fuhr ich mit dem Zug nach Varkala, das ich gegen acht Uhr Abends erreichte. Hier wurde ich, schon so kurz nach meiner Ankunft, von der Freundlichkeit der Menschen von Kerala überrascht. Ein netter Typ, mit dem im Zug ins Gespräch kam und welcher in Thiruvananthapuram arbeitet, bot gleich an, mich das kurze Stücke zum Strand per Auto mitzunehmen. Sehr freundlich. Im Auto saß sein Bruder, welcher hier ein Resort hat. Anders als man aber meinen könnte, machten die beiden keinerlei Anstalten mich für das Hotel zu gewinnen, sondern brachten mich direkt zur Unterkunft meiner Wahl. Und hier war ich schon auf der schönen Steilküste und hörte das Rauschen der Arabian Sea. Schön anzukommen.