Bahnreisen sind in Indien viel angenehmer als Busreisen. Mit dieser Erkenntnis erreichte ich nach recht schlafloser Fahrt um 3:30 morgens den großen Busbahnhof von Madurai. Dort wartete ich, bis der Tag etwas näher rückte. Da es hier einen Cloakroom gab, konnte ich mich meines Rucksacks entledigen und leichten Schritts in den Stadtbus springen, welcher mich zum großen Meenakshi Amman Tempel brachte.
Dieser einzigartige Tempel ist die Hauptattraktion von Madurai. Verehrt wird hier Meenakshi, eine dreibrüstige Version von Parvati, der der Legende nach ihre dritte Brust abfiel, als sie ihrem künftigen Gatten Shiva begegnete. Der Tempel besticht vor allem durch seine vier riesigen Tortürme, die alle eine farbenfrohe Götterwelt zeigen. Im sechs Hektar großen Tempelareal kann man lange umherstreifen und entdeckt immer wieder Neues. Manche Bereiche sind nur für Hindus zugänglich. In seiner jetzigen Form wurde der Tempel im 17. Jahrhundert errichtet, seine Ursprünge gehen aber auf vorchristliche Jahrhunderte zurück. Interessant sind die Kleidervorschriften. Während Frauen Knie und Schultern verdecken müssen, können Männer oberkörperfrei durch den Tempel wandern. Die Kniee müssen aber bedeckt sein.
Zwei Stunden lang streifte ich im Morgengrauen durch den im Licht stets bunter werdenden Tempel. Dabei begegnete ich neben heiligen Kühen auch einem riesigen Elefantenbullen. Gläubige verbeugen sich vor dem Tier, als wäre es Ganesha selbst. Die Menschen geben dem Elefanten einen Geldschein. Dieser nimmt das Geld mit seinem Rüssel, reicht es diskret seinem Mahut und tätschelt dann anerkennend dem Spender per Rüssel den Kopf. Erstaunlich anzusehen.
Nach gutem, südindischem Frühstück (sambar und idlis), besuchte ich das zweite wichtige Bauwerk Madurais, den Palast von Tirumalai Nayak. Dieser Fürst lebte Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, als nach jahrzehntelanger Herrschaft muslimischer Könige wieder Hindus an die Macht kamen. Obwohl nur teilweise erhalten, zeugt der Bau von beachtlichen Ambitionen und immensen Reichtum des Herrschergrschlechts der Nayaks. Die riesige, 25 Meter hohe Säulenhalle ist beeindruckend. Selbst ohne Meenakshi Amman Tempel (übrigens auch von Tirumalai Nayak erbaut) wäre Madurai dank des Palastes einen Besuch wert gewesen.
Zurück am Busbahnhof nahm ich die letzten vier Stunden meiner langen Reise nach Süden in Angriff. Das Kap war nicht mehr weit. Die Fahrt hatte einige schöne Aussichten zu bieten, rückt man doch in die unmittelbare nähe der Westlichen Ghats, eines südindischen Gebirges, das Höhen bis zu zweitausend Meter erreicht. Die Hügel am Straßenrand erinnerten mich ein bisschen an die Gegend von Sedona, Arizona.
Am späten Nachmittag erreichte ich schließlich Kanyakumari. Kaum war ich da, brach ein Sturm herein und brachte reichlich Regen. Ich suchte mir ein günstiges Hotel und schritt dann Wind und Nässe trotzend die letzten paar Meter nach Süden. Eine orangefarbene Flagge ragt aus der Brandung und markiert den südlichsten Punkt des indischen Subkontinents. Der sturmumwitterte indische Ozean sprühte mir seine Gischt ins Gesicht. Schön war es, nach solch langer Reise in den Süden den südlichsten Punkt dieser Reise zu erreichen. Der östlichste Punkt war Gangtok gewesen. Westlichster und nordlichster Punkt standen mir noch bevor.
Trotz des Wetters war ich nicht der einzige am Kap. Zahlreiche hinduistische Pilger, die eben den nahen Kumari Amman Tempel besucht hatten, nahmen das rituelle Bad in den Wellen. Am meisten ins Auge stechen wohl die beiden kleinen Inseln östlich des Kaps. Auf einer von beiden steht die über vierzig Meter hohe Statue des tamilischen Poeten Thiruvalluvar. Beeindruckend, vor allem im Sturm. Nahebei ist auch das Gandhi Denkmal, ein kleiner rosafarbener Palast. Bald flüchtete ich den Regen und verbrachte eine schlafreiche Nacht im Hotel.