65 Auroville

Am Morgen widmete ich mich nach gutem Frühstück im Le Café jener Einrichtung, die heutzutage wohl die meisten Besucher nach Pondicherry lockt, dem Sri Aurobindo Ashram.

Ein Ashram ist eine Art Sektenhort, wie es in Indien viele gibt. Eben an diesem Tag berichteten Medien von einem Ashram in Haryana, nordwestlich von Delhi, der von der Polizei gestürmt werden musste, da sich der Guru wohl über dem Gesetz wähnte und in einige Morde verwickelt war. Schließlich kam es zur Auseinandersetzung, ja fast schon Schlacht, zwischen 15000 Sektenmitgliedern und den Sicherheitskräften.

Die Sri Aurobindo Sekte, die auch in Europa schon ihre Ableger hat, ist noch frei von derlei Eskalation. Ihre Gurus, Sri Aurobindo und seine in Frankreich geborene Nachfolgerin, „die Mutter“, sind beide schon tot (They left their physical form), wenngleich in Pondicherry in Zitaten und auf Plakaten allgegenwärtig. Sogar die Tankstelle an der Ecke wirbt mit den lobenden Worten, mit denen „Mutter“ dort in Siebzigern ihr Tankerlebnis kommentierte.

Man hört, dass Sri Aurobindos Lehre sehr humanistisch und weltoffen sein soll. Überdies wird sie in mancher Beschreibung trotz allem Geschwafel von Yoga und supramentalem Bewusstsein als nicht-religiös bezeichnet. Ich zügelte also meine natürliche Abneigung gegenüber Sekten ein wenig und betrat in recht aufgeschlossener Stimmung den Ashram. In einem Blumengarten findet man dort die mit Blüten geschmückte Plattform, auf der Mutter und Sri Aurobindo verbrannt wurden. Menschen kommen zuhauf hierher, verbeugen sich, berühren die Blüten und meditieren am steinernen Boden. Eine Weile lang setzte ich mich dazu und beobachtete das Geschehen.

An einer Wand entdeckte ich dann eine Art Hinweisbrett, das den etwa tausend hier lebenden Sektenmitgliedern galt. Neben ein paar Rüffeln, wie etwa dem, dass manche zur falschen Zeit, die falschen Hemden getragen hätten und entsprechend bestraft werden würden, fand sich dort auch eine Art Grundsatzerklärung der derzeitigen Sektenleitung. Diese hat es in sich. Ich war schockiert und angewidert. Das Dokument bestätigte mir alle meine vermeintlichen Vorurteile.

Ein kleiner Auszug: „Mit absoluter Gewissweit wissen wir, wie glücklich wir uns schätzen können, im selben Zeitalter zu leben wie Mutter und Sri Aurobindo … ihr gewaltiges Geschenk an die Menschheit … Nur jene, die nach den Wünschen von Mutter und Sri Aurobindo handeln, nur jene, die alles dafür geben, die Träume von Mutter und Sri Aurobindo zu verwirklichen, nur jene dürfen sich Menschen nennen. Alle anderen sind Tiere.“

Da dreht es einem doch den Magen um. Die Behauptung, absolute Gewissheit über etwas zu haben, das damit verbundene Verbot jeglicher interner Kritik, die Entmenschlichung aller Andersdenkender – das ist reinster Totalitarismus. Auch wenn die Sektengründer vielleicht anders gesinnt waren, das jetzige Credo scheint gemeingefährliches Potential zu haben. Hinzu kommen Zitate der Mutter, die von der neuen Menschenrasse sprechen, die aus ihren Anhängern hervorgehen werde.  Das humanistische Antlitz, das sanfte Lächeln der Mutter, das Geschwafel von Superseinszuständen, Yoga und Meditation und noch viele andere Facetten dieser Sekte, deren Lockruf auch viele Europäer erfasst – all das ist nur Tarnung und Täuschung für eine  totalitäre Ideologie der Kontrolle. Und diesen Leuten, die mir mein Menschsein absprechen, soll man beim Besuch ihrer Brutstätte auch noch Respekt zollen. Widerwärtig.

Vor dem Verlassen des Ashrams kommt man noch durch den Bookshop. Dieser macht Angst. Die schiere Anzahl der Bücher von und über Sri Aurobindo und Mutter ist erstaunlich, auch die Anzahl der hier erhältlichen Übersetzungen. Ich fand ein ganzes Regal deutschsprachiger (natürlich unkritischer) Literatur zur Sekte. Zum Fürchten.
Ebenso unheimlich sind die vielen esoterisch angehauchten Neohippies westlichen Ursprungs, die hier sinnsuchend durch die Straßen laufen und mich nach dem Weg zum Haus der Mutter fragen. Nur zu Leute, verabschiedet euch vom kritischen Denken, schwelgt in Yoga und Sinnsuch-Meditation, lasst euch von Mutters pseudophilosophischem Geschwafel einlullen, spendet dem Ashram Zeit und Besitz und wähnt euch ach so überlegen den übrigen Menschen. In Wahrheit seid ihr nur Orwell’sche Sklaven eines totalitären Systems.

Auroville ist eine andere Geschichte, der ich durchaus etwas abgewinnen kann. Der Ort, etwa zwanzig Minuten außerhalb von Pondicherry, wurde zwar auf Bestrebungen der Mutter in den Sechzigern gegründet (die Position so gewählt, dass er jener entsprach, die Mutter mit geschlossenen Augen, doch „spirituellem Sinn“ auf einer Landkarte anzeigte), doch im weiteren Verlauf nahm Auroville eine von der Aurobindo Sekte recht unabhängige Entwicklung.
Die etwa zweitausend Einwohner (der Großteil aus dem Westen) versuchen hier den Traum einer internationalen Gemeinschaft zu leben. Unabhängig  von Nationalität und Herkunft, ohne Religion, ohne Geld und Privatbesitz versucht man sich hier im Leben eines Ideals, das wie die Lyrics von John Lennon’s „Imagine“ klingt. Gleichzeitig setzt  man auf Wissenschaft und Ökologie. Sonne und Wind bringen den Strom. Man entwickelt neue Wege um mit der richtigen Bepflanzung tote Erde in wertvollen Humus zu verwandeln. Gleichzeitig integriert man die Bevölkerung der umliegenden Dörfer, schafft ein Bewusstsein für Gleichberechtigung und Umweltschutz. Auroville scheint zu funktionieren. Ein bisschen Nörgeln muss ich aber doch: Leute von Auroville, es macht einfach keinen sich nicht-religiös zu nennen und dabei gleichzeitig ein der „Mutter“ gewidmetes Tempelbauwerk im Ortszentrum zu haben. Vor allem dann nicht, wenn ihr in den Infobroschüren von Dingen faselt wie den „vier
göttlichen Aspekten der heiligen Mutter“, denen die vier Eingänge entsprechen. Seufz.

Die Rede ist vom Matrimandir, einem beachtlichen Bauwerk, das architektonisch beeindruckt. Es sieht leicht außerirdisch aus. Man könnte es auch als riesigen, goldenen, abgeflachten Fußball beschreiben. Betreten dürfen den Matrimandir nur Bewohner von Auroville oder Gäste, die sich ein paar Tage vorher schon angemeldet haben. Der Raum im Inneren, der mit dem Sonnenlicht, das durch eine kleine Öffnung fällt, geschickt zu spielen weiß, dient der hier viel erwähnten „concentration“. Was auch immer damit gemeint sein mag.

Zurück in Pondicherry war nicht mehr zu tun, als ein bisschen Zeit totzuschlagen. Ich las auf den Felsen am Meer und im Barathi Park, saß lang bei Kuchen und Kaffee im Café des Artistes und besuchte die Herz-Jesu Basilika, eine sehr schöne Kirche, deren Modernität in Europa ihres Gleichen sucht. So sind auf jeder zweiten Säule beidseitig des Hauptschiffes 60 Zoll Flatscreen TVs montiert, damit wohl niemandem die Mimik des Priesters entgeht. Manch Heiligenbild an den Wänden ist von bunt blinkenden Lichterketten umrahmt.

Nach dem Abendessen holte ich problemlos meinen Rucksack im Guesthouses ab, plauderte mit dem freundlichen Besitzer und schritt dann durch die nächtlichen Straßen bis zum Busbahnhof, wo ich gegen zehn Uhr Abends endlich im meinen leicht verspäteten Bus nach Madurai steigen konnte.

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