Auch ein Tag, den man fast gänzlich in vollen Bussen verbringt, kann kurzweilig und unterhaltsam sein.
In Janakpur verließ ich gegen halb sieben mein Hotel. Es galt, einen Bus zu finden, der in Richtung Osten nach Kakarbhitta fuhr. Diesen wollte ich dann etwas früher, in Birtamot, verlassen, um von dort einen Jeep nach Ilam zu erwischen. Direktbus gab es keinen.
Umso überraschter war ich, als ich auf dem Weg zum Bus Park von Janakpur auf eine Schulklasse aus Ghorka stieß, die gerade mit eigenem Bus eine Tour durchs Land machte und deren nächstes Ziel Ilam war. Die netten Schüler hätten mich am liebsten gleich mitgenommen, doch der Lehrer hatte etwas dagegen. Also zurück zu Plan A.
Am staubigen Buspark herrschte das übliche Chaos. Keine englische Beschilderung, kein Informationsschalter. Und stets, wenn man ratlos vor dem Chaos steht, kommt ein freundlicher Nepali mit gutem Englisch des Weges und hilft einem zum rechten Bus. Schon wenige Minuten später ging es los. Meine lange Fahrt durchs östliche Terai nahm ihren Lauf.
Sieben Stunden waren es bis nach Birtamot. Neben den Impressionen des ländlichen Lebens, die vor meinem Fenster vorüber huschten, unterhielten mich vor allem meine stets gesprächsfreudigen Sitzbachbarn. Zuerst ein Junge aus der Gegend, der fürs nahende Diwalifest zu seinen Eltern aufs Land fuhr, dann ein Lehrer, der Nepali unterrichtet und von der Schönheit seiner Sprache schwärmte. Ich zeigte ihm meine englische Version des Ramayana und er beklagte, dass im Akt der Übersetzung jegliche Poesie verloren ginge. Aus dem epischen Lied wird plumper Prosatext. Ich merkte an, dass dies wohl bei fast allen Lyrikübersetzungen der Fall sei. Von westlicher Literatur wisse er leider viel zu wenig, klagte der Nepali-Lehrer. Auf der Schule würden davon nur zwei Werke ausführlich behandelt: Ilias und Odyssee. Homer setze er persönlich Audio dieselbe Stufe wie Valmiki. Neben der Literatur drehten sich unsere Gespräche vor allem über Politik und inwiefern ein Mehrparteiensystem durch zuviele Parteien seiner Sinnhaftigkeit beraubt würde. Wir erzählten uns einiges über Nepal und Österreich. Der Nepali-Lehrer beklagte die Unehrlichkeit der hiesigen Politiker und die Leichtgläubigkeit des Volkes.
Mein nächster Sitznachbar war ein Politiker der National Congress Party. Er war jung, engagiert und unterrichtete nebenbei Social Studies an einer Schule. Von ihm lernte ich einiges über die Ohnmacht der nepalesischen Regierung gegenüber den zwei riesigen Nachbarländern China und Indien. Nepal sei unfähig nur irgendetwas zu beschließen, was den zwei Riesen missfiele. Denn diese würden stets mit Importstopps drohen, was Nepal schwer träfe und in Kürze zu Grunde richten würde. Wegen mangelnder Eigenproduktion sei man vom Import vor allem indischer Waren abhängig.
Der Bus überquerte den Staudamm des immens breiten Sapt Kosi, der hier um einiges breiter ist, als der Ganges bei Varanasi. Vor drei Jahren, erklärte mir der Politiker, habe es an den Deichen seitlich des Flusses eine verheerende Überschwemmung gegeben. Hunderte seien umgekommen. Einst fruchtbares Ackerland war immer noch mit Sand bedeckt. Ich sah es selbst vor meinem Fenster. Angeblich wäre der Dammbruch durch Ablassen von mehr Wasser leicht zu verhindern gewesen. Aber man musste wie in vielen Entscheidungen erst die Inder fragen und die hätten Nein gesagt. Bei aller Abneigung gegenüber Indien hatte mein Sitznachbar aber enormen Respekt gegenüber Mahendra Modi und lobte diesen in höchsten Tönen. Allerdings werde auch Modi binnen weniger Jahre zusammenbrechen – so die Prognose.
Nach einer kurzen Pause mit günstigem Daal bhat ging die Fahrt weiter. Bald stieg auch der Politiker aus und ich konnte kurz meine Beine ausstrecken. Dann kamen neue Fahrgäste. Nach sieben Stunden erreichten wir endlich Birtamot. Hier erwischte ich schon bald einen Minibus mit Ziel Ilam. Doch die Abfahrt verzögerte sich. Busse fahren hier meist nicht zu bestimmten Zeiten ab, sondern dann, wenn sie voll sind. Durch das offene Fenster wurden mir andauernd Chips, Ananas, Bananen, Wasser, Nüsse und andere Sachen angeboten. Endlich fuhren wir los. Wie schnell sich das Klima änderte, je höher wir in die Hügel der Mahabharrata Kette hinauffuhren. Dichter Nebel hüllte uns ein. Es folgte ein feuerroter Sonnenuntergang. Erst eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit erreichten wir Ilam. Eine freundliche Dame aus dem Minibus half mir zum gesuchten GreenView guesthouse. Schnell kam der Schlaf.
Noch eine schöne Reise wünscht dir , Adrian Mair