Die Busfahrt gestaltete sich äußerst kurzweilig und überraschend angenehm. Dank der bequemen Sitze mit weit zurückstellbarer Lehne habe ich wohl mehr geschlafen als nicht geschlafen. Neben mir saß ein freundlicher Nepali namens Depack, der – wie so viele hier- ein paar Jahre lang in Saudi-Arabien gearbeitet hatte. Er war eine große Hilfe. Als einziger Ausländer im Bus war ich oft nicht ganz im Bilde, was vor sich ging und warum der Bus nun schon wieder hielt. Depack erklärte mir, ob es sich nun um eine „urine break“ oder „dinner break“ oder „police control“ oder „gas station “ handelte. Die ersten zwei Stunden der Fahrt lief auf dem Bildschirm vor der ersten Reihe eine nepalesischer Film, dessen Ton penetrant aus dem Lautsprecher neben mir schallte. Ich verstand kein Wort, hatte aber meinen Spaß damit. Der Film (eine Art Gangsterschnulze mit Tanzeinlagen) war teilweise so schlecht, bzw. so anderen Ansprüchen unterliegend wie die mir vertraute Filmkultur, dass ich zu Depacks Verwunderug öfters laut auflachte. Was da an Schnitt und Perspektivenwechsel geboten wurde, war wirklich grandios. Und dann erst die Kampfszenen. Anscheinend gilt es hier als besonders cool (oder sogar sexy), wenn die Heldin der Geschichte (eine Undercover-Polizisten, die sich in einen Gangster verliebt) so richtig rotzig auf den Boden spuckt. Das macht sie jedenfalls ständig und alle Gangster schwelgen in staunender Anerkennung. Nach der ersten Hälfte des Films kehrte sich dessen Effekt auf mich um und ich fand überraschend schnell Schlaf.
Gegen zehn Uhr Abends erreichten wir eine Art Raststätte, an der uns ein köstliches und günstiges Dal Bhat mit reichlich Nachschlag serviert wurde, das beste Dal Bhat, das ich in Nepal bisher hatte (auch wenn ich es immer noch mit Gabel und Löffel anstatt mit den Fingern esse) .
Depack war überrascht, wie viel ich von der Ramayana und Sitas erdige Geburt aus einer Ackerfurche in Janakpur wusste. Ich erklärte ihm, dass ich eben das Buch lese uns dieses durchaus spannend finde.
Viele großteils im Schlaf verlebte Stunden später erreichten wir Janakpur. Es war kurz vor Sonnenaufgang. Die Fahrt hatte also weniger als elf Stunden gedauert. Ich wimmelte ein paar Rikshas ab, befragte Kompass und Karte und spazierte ins Zentrum.
Schon der erste Blick auf den Janaki Mandir bestätigte mir, dass sich die Reise gelohnt hatte. Ein wunderbares Bauwerk, angeblich auf eben jenem Acker erbaut, in dessen Furche König Janak ein Mädchen fand, es als Tochter annahm und ihr – kreativ war er ja nicht – den Namen Sita (=Ackerfurche) gab. Ein weiterer (im Vergleich eher hässlicher) Tempel markiert die Stelle, an der Jahre später Rama Sita zur Frau nahm.
Hier in Janakpur bin ich der einzige westliche Tourist weit und breit. Es gibt auch kaum englischsprachige Beschilderungen – ganz anders als in Kathmandu oder Pokhara. Die ganze Stadt ist auf den indischen Pilgertourismus ausgerichtet. Hindus aus dem ganzen Subkontinent kommen hierher, um Sita anzubeten. Diese hat scheinbar auch irgendwann den Sprung von der Sterblichen zur Göttin gemacht. (Wichtiges Element der Ramayana ist ja eben, dass sowohl Sita wie auch Rama sterblich sind). Es ist ein bizarres Schauspiel, so viele gläubige Hindus vor den Tempeln und den teils sehr kitschigen Abbildungen und Puppen Sitas und Ramas andächtig beten und auf die Knie fallen zu sehen, bizarr vor allem deshalb, weil ich die Geschichte, auf der all dies fußt, eben lese. Darin ist Sita noch menschlich und klischeehaftes Musterbeispiel weiblicher Unterwürfigkeit gegenüber der Männerwelt. Aber darum geht es gar nicht. Ich lese die Ramayana so, wie ich auch andere Fantasy-Epen lese. Sie ist sehr spannend und poetisch ansprechend. Ich mag dieses Werk. Aber all diese Menschen vor den Puppen der Charaktere auf die Knie fallen zu sehen, kommt mir ebenso absurd vor, als würden wir Tempel zu Ehren von Gandalf, Roland of Gilead oder Harry Potter errichten. (Aber vielleicht ist das nur eine Frage der Zeit 😄)
Schön an Janakpur sind auch die vielen relativ sauberen Wasserbecken, in denen sich Hindus rituell reinigen. Am Nachmittag spazierte ein Stück weit nach Süden in Richtung Grenze. Der hiesige Flughafen ist nicht mehr als Feld und geteerte Landebahn. Kein einziges Gebäude steht hier. Ein verblasstes Schild am Wegesrand trägt den Schriftzug: „Smile, u r in Janakpur, the birthplace of godess Sita!“ Die dominante Volksgruppe in dieser Region sind nicht Newars (die Nepali sprechen) sondern Mithilas. Diese haben auch eine eigene Sprache. Schön war’s durch die staubigen Dörfer zu schlendern. Wasserbüffel baden in Tümpeln. Ein Rikshafahrer transportiert in einer Art Käfig Schulkinder nach Hause. Bunt gekleidete Frauen tragen Körbe auf ihren Köpfen. Ein alter Mithila fragt nach meinem Woher und Wohin.
Morgen steht mir eine etwa sechsstündige Busfahrt bevor, diesmal am Tag. Es geht weit nach Osten. Und dann ein Stück weit nach Norden ins schöne Ilam.