Früh am Morgen ließ ich mich von einem Taxi hinauf zum ca.1400 hohen Hügel Sarangkot nördlich des Sees bringen. Es ist dies ein beliebter Aussichtspunkt, um das majestätische Erwachen der Annapurnakette im Sonnenaufgang zu sehen. Ich hatte Glück. Die Wolken verbargen nur vereinzelte Bereiche. Die Annapurnagipfel und der Machhapuchhare waren gut sichtbar. Zuerst lag alles noch im Schatten. Dann konnte man sehen wie je nach Höhe nach und nach die Gipfel ins Licht getaucht wurden und der Schnee darauf zu leuchten begann. Es ist ein erhendes Gefühl auf diese Weise mehr als sechstausend Meter über sich die Berge erwachen zu sehen.
Noch erhebender wäre es freilich, wenn man dieses atemberaubende Schauspiel in kleinerem Kreise betrachten könnte – nicht inmitten von zweihundert pausenlos fotografierenden Menschen. Die große Mehrheit unter den Touristen scheint hier ganz klar aus China zu kommen. Das zeigte einmal mehr die Menge am Hügel. Und als die Sonne kam, kreischten alle laut auf und riefen Hallo. Seufz. Ein bisschen mehr Ehrfurcht und Stille im Angesicht dieser Wunder der Plattentektonik wäre doch angebracht.
Der Rest des Tages verlief sehr ruhig. Ich las viel, saß lange am Ufer und betrachtete den See. In Pokhara war es ruhiger als sonst. Viele Geschäfte hatten aufgrund des Feiertages geschlossen. Heute ist der Tag des Dasain, an dem ein jeder seine Tika bekommt. Ein Familienältester oder hinduistischer Priester malt allen eine rote Markierung (die Tika) auf die Stirn. Diese ist keineswegs nur ein kleiner Punkt, wie man es oft in Indien sieht, sondern nimmt bei manchen fast die ganze Stirn ein. Auch Blüten und Reiskörner sind mit der leuchtend roten Paste vermengt.
Viele Nepalis holen sich hier ihre Tika in einem Tempel auf der kleinen Insel im See von Pokhara. Gemeinsam mit den Einheimischen ließ ich mich übersetzten. Zwar wusste ich schon, dass buddhistische und hinduistische Heiligtümer immer im Uhrzeigersinn zu umrunden sind. Dass aber der Fährmann zuerst die ganze Insel im Uhrzeigersinn umrunden muss, bevor er anlegen darf, war mir neu. Auf der winzigen Insel gibt es einen schönen Tempel, schattenspendende Bäume und einen kleinen Shop, der Souvenirs und Opfergaben im Angebot hat. Drei Sadus saßen auf dem asphaltierten Boden und nahmen Spenden entgegen. Ich sah zu, wie die Nepalis, meist ganze Familien in den Tempel gingen, eine Kleinigkeit spendeten, mit Tika auf der Stirn wieder zum Vorschein kamen und einander eifrig mit Smartphones und Tablets abfotografieren. Im Ganzen erinnerte das Prozedere doch sehr an die christliche Kommunion, nur dass das dezent antropophage Verzehren des Leibs Christi durch ein Bemalen der Stirn ersetzt wird. Diese Markierung wird dann den ganzen Tag lang getragen. Mancherorts kann man sich auch als Tourist die Stirn beschmieren lassen, aber irgendwie lockte mich dies wenig.