Nach gutem Frühstück verließ ich die Lakeside von Pokhara in Richtung Süden und folgte dem Ufer des Phewa Tal bis zum eher unscheinbaren Staudamm. Die nahe Bambusbrücke erlaubt Fußgängern das Wechseln der Seite. Ein Blick zurück über den See erlaubte sowohl Annapurna I und Machhapuchhare, wie auch deren Spiegelung im Wasser zu sehen. Leider sah man nur die Spitzen, blieb die Hauptmasse der weißen Riesenberge doch den ganzen Tag über hinter Wolken versteckt.
Mit der Überquerung der Brücke hatte ich den Rand der dichten Wälder, die das hügelige Südufer des Phewa Tal säumen, erreicht. Ein steiler Anstieg zur Weltfriedenspagode stand bevor. Dieser war nicht ganz ungefährlich, war es doch in diesem Wald im Lauf der vergangenen Jahre mehrmals zu Raubüberfällen auf Touristen gekommen. Ein freundlicher Einheimischer erzählte mir überdies von Muren mit tödlichem Ausgang, die auch einen Wegabschnitt zerstört hatten, von labyrinthischen Wegen, sowie von ganz bösen Blutegeln, die überall lauerten. Die Botschaft war klar. Er wollte, dass ich ihn als Guide anheure. Da er harmlos genug aussah und sich mit einer sehr kleinen Summe zufrieden gab, willigte ich ein. Und siehe da, er (Ich bin so schlecht im Namenmerken) führte mich viel rascher als erwartet zur Pagode. Auf dem Weg erzählte er mir von seinem Leben als Reisbauer, dem ungewöhnlich starken Monsun dieses Sommers und von den Raubüberfällen. Außerdem zeigte er mir ein paar Blutegel, die sich eben an seine nur Sandalen tragenden Füße heften wollten. Dank festem Schuhwerk blieb ich von diesen Tierchen verschont.
Wir erreichten also die Pagode. Mein guide erklärte mir, welchen Pfaden ich später weiter westlich folgen müsste. Es sei „very complicated „. Er wolle lieber mitgehen und mir den Weg zeigen. Dieses Angebot lehnte ich ab. Ich hatte Zeit genug, mich zu verirren. Außerdem waren mir See und Berge doch beständige Wegweiser. Von nun an ging es alleine weiter.
Etwa eine Stunde lang blieb ich bei der Weltfriedenspagode. Sie war etwas kleiner als ihr Gegenstück in Lumbini. Dafür war die Lage am Hügelkamm umso imposanter – und gewagter. Besagte Mure gab es wirklich. Der Berghang direkt unterhalb der Pagode zum See hin sah wüst aus. Viel fehlte nicht und es hätte vor einem Monat auch das Friedensbauwerk in die Tiefe gerissen. Wie lange sich die Pagode hier wohl noch halten kann? Etwa achtzig Weltfriedenspagoden haben die Japaner Mitte der Achtziger Jahre errichtet, die ersten in Nagasaki und Hiroshima, die späteren weltweit. Die beiden in Nepal habe ich nun gesehen. Die in Delhi ist mir entgangen. Sie sehen ohnehin alle fast gleich aus. Die größte Attraktion an der world peace pagoda von Pokhara ist die Aussicht, die man von dort hat. See, Himalaya und die Spiegelung von letzterem in ersterem.
Von der Pagode aus folgte ich weiter dem Hügelkamm. Der guide hatte Recht gehabt. Very „complicated.“ Ein chaotisches Gewirr an Wegen durchzieht Wälder und Reisfelder der Nordflanke dieser Hügel und verbindet die winzigen Dörfer. Bald fand ich mich allein auf einem teils zugewucherten, teils von Bächen überschwemmten, teils von Muren zerstörten Weg wieder, der allen Widrigkeiten zum Trotz in die richtige Richtung führte. Dies verriet der Blick hinab zum See. Nach Stunden im Gestrüpp erreichte ich immer noch blutegelfrei das Dorf Margi. Ein idyllischer Ort. Kinder spielten mit einer Bambusschaukel, eine Kuh graste friedlich. Von hier aus ging alles ganz leicht. Ich folgte einem Pfad quer durchs saftig grüne Marschland im Mündungsdelta des Zuflussstroms. Eine selbstbedienbare Fähre erlaubte es, den letzten schmalen flussartigen Abschnitt hinter sich zu lassen. Und schon stand sich auf der Straße, die das Nordufer des Sees entlang bis nach Pokhara führt. Auf diesem letzten Wegabschnitt machte ich in einem kleinen Dorf Rast. Wie überall waren die Anzeichen des Dasainfestes zu erkennen. Die großen Bambusschaukeln, die ich schon vor vielen Dörfern sah, werden eigens zur Festzeit aufgebaut. Es war nett, der Dorfjugend beim waghalsigen Spiel auf der Schaukel (das Ding ist riesig) zuzusehen. Obwohl die Jugend auch hier oft schon Smartphones besitzt, scheint die einfache Bambusschaukel ihre Anziehungskraft nicht verloren zu haben. Ein weiters Anzeichen fürs Dasain sind natürlich die allgegenwärtigen Ziegen, deren Opferung ein Höhepunkt des Festes ist. Schon seit Tagen sieht man, wie Ziegen von A nach B transportiert werden, auf den Dächern von Bussen, auf Motorrädern, etc. Am Dorfplatz, über dem Nebelkrähen und Greifvögel kreisten, saß ich unmittelbar neben einem fürs Fest bemalten alten Ziegenbock, der eben mit Appetit sein letztes Gras verschlang. In ganz Nepal verlieren am heutigen Tag hunderttausende Ziegen ihr Leben. Drittes Anzeichen fürs Dasain ist die Musik, vor allem die Trommeln, die aus den Tempeln erklingt. Viertes Anzeichen: Die Menschen wünschen einander tatsächlich „Happy Dasain!“
Ich spazierte gemächlich weiter und erreichte schon bald Pokhara.