
Während man noch über den Literaturnobelpreisträger von 2019 streitet, bin ich eben mit dem Lesen der Lyrik des nämlichen Laureaten von 2016 fertig geworden. Wunderbar. Natürlich kennt jedermann Dylans bekannteste Texte, doch liest man sich chronologisch durch sämtliche „Lyrics“ eines halben Jahrhunderts hindurch – von 1962 bis 2012 – so tun sich da noch so viel mehr ungeahnte Welten, so viel mehr Abgründe und so viele unbekannte Schatztruhen auf. Welch Entwicklungen hat dieser Mensch zu Papier gebracht, welch schöne Momente, welch literarischen Reichtum… Die Wortgewalt mancher Balladen gleicht einem Wirbelsturm, der dich hinfortträgt. Manche Themen reiten perfekt auf den Wogen des Zeitgeists seiner wild durchlebten Jahrzehnte.
Ich hab es genossen; ein Jahr lang dieses schwere Buch auf meinem Lesepult liegen zu haben und morgens oder manchmal auch abends den ein oder anderen Text laut vor mich hin zu deklamieren – denn Lyrik muss man bitte immer laut lesen. So hab ich den den ganzen Bob Dylan laut gelesen. Mächtig Spaß hat das gemacht. Und hin und wieder ist man wirklich sehr gerührt. Es gibt nur zwei Künstler, die sowohl mit einem Oscar, als auch mit einem Nobelpreis für Literatur bedacht wurden. George Bernard Shaw ist der eine, Dylan der andere. Meiner Ansicht nach, haben beide beides hoch verdient. Und zum Abschluss noch eine der bekanntesten und schönsten Passagen:“
In the wild cathedral evening the rain unraveled tales
For the disrobed faceless forms of no position
Tolling for the tongues with no place to bring their thoughts
All down in taken-for-granted situations
Tolling for the searching ones on their speechless seeking trail
For the lonesome-hearted lovers with too personal a tale
And for each unharmful, gentle soul misplaced inside a jail
And we gazed upon the chimes of freedom flashing.“