Eine überaus spannende, faszinierende Lektüre für alle, die das Leben in Wuhan zur Anfangszeit der Corona-Epidemie besser verstehen wollen. Über 60 Tage lang hat die Autorin Fang Fang in der Quarantäne ihrer Wohnanlage im Herzens Wuhans einen Blog geführt um hautnah am Leben über die dramatische Zäsur der Covid19-Krise zu berichten. Auch sie wurde Opfer von Verschwörungtheoretiker*inne*n und Hatemail-Schreiber*inne*n. Dennoch erreichte ihr Blog ungeheure Leser*innen*zahlen und ist nun weltweit (nur nicht in China) als Buch erhältlich.
Interessanterweise findet man in diesem Buch mehr Vertrautes als Fremdes. Die Abläufe in Wuhan und Tirol waren nicht so unterschiedlich, wie man meinen möchte, nur um zwei Monate zeitversetzt. Und auch in China gibt es so manchen Funktionär, der im Angesicht grober Fehlentscheidungen nichts anderes zu sagen weiß als „Die Behörden haben alles richtig gemacht.“
Auch unabhängig von Covid19 eröffnet dieses Buch einen intimen Blick in das innerchinesische Leben. Die Stadt Wuhan erscheint einem lebendig, grün, und lebenswert. Man verspürt sogar Lust, dorthin zu reisen und etwa den blitzenden Ostsee entlang zu spazieren – zumindest dann, wenn alles vorbei ist und China ein bisschen weniger totalitär wäre. Beim Lesen staunt man über den Mut von Einzelnen und die beachtliche Courage der Autorin. Auch im Angesicht überbordender Zensur sind die zivilen Freiheiten in China überraschend stark etabliert.
Imponiert hat mir auch die Belesenheit und Offenheit von Fang Fang. Wie sie Episoden ihres Alltags mit weltliterarischen Bezügen (etwa auf „Warten auf Godot“) umschreibt, offenbart das Wesen einer echten Weltbürgerin. Dass dazwischen aber auch sehr viele Verweise auf und Zitate aus Gedichten und Episoden chinesischer Literatur und Geschichte aufblitzen, weist die westlichen Lesenden doch darauf hin, dass es ungemein lohnt, über die Grenzen der eigenen Kultur zu blicken und sich einmal tiefer mit den Juwelen fernöstlichen Schreibens zu beschäftigen.
Ein Satz aus diesem Buch hat eine besonders frappierende Wirkung: „Wenn sie dir sagen ‚Wir machen das um jeden Preis‘, glaube ja nicht, dass du zum ‚Wir‘ gehörst. Du bist der ‚Preis‘.“
Kurzum: Ich habe dieses Buch gerne gelesen.