Hampi ist ein welthistorisches Highlight und zweifellos einer der schönsten Orte dieser Reise. Hampi ist atemberaubend schön. So opulent wie Rom – so beschrieb diesen Ort einer jener wenigen Europäer, die es in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts hierher geschafft haben. Wo heute Geröll und Ruinen sind, erhob sich damals die Stadt Vijayanagar, reiche Hauptstadt des gleichnamigen Reiches, das sich im vierzehnten, fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert teils über den ganzen Süden Indiens erstreckte. Doch dann im Jahre 1565 taten sich mehrere muslimische Herscher zusammen und machten das von internen Machtkämpfen geschwächte Vijayanagar dem Erdboden gleich. Stadt gibt es hier heute keine mehr, nur ein paar Häuser, die Unterkunft gewähren. In Anbetracht dessen, was geblieben ist, kann man nur schwer schließen, was einst alles war. So steht man zum Beispiel vor der Ruine eines prunkvollen, palastartigen Gebäudes mit elf hohen Torbögen und liest erstaunt, dass dies kein Palast sondern nur die Stallungen der Hofelefanten waren. Wie groß mag erst der Hof des Herrschers gewesen sein? Davon ist nur Schotter übrig.
Bei all den Ruinen von Tempeln und Palästen – diese sind hier nicht die Hauptattraktion. Der wahre Reiz von Hampi liegt in der wunderbaren, außerirdisch anmutenden Landschaft, in dem all dies sich befindet. Der mäandernde Fluss mit seinem felsigen Ufer, die zerklüfteten Hügel roten Gesteins, wie von Riesen zusammengetragen, die versteckten Täler und Schluchten, die spektakulären Felsformationen – all dies vermag zu bezaubern, vor allem im Licht eines tiefroten Sonnenuntergangs. Hampi muss man gesehen haben. Doch gehen wir’s chronologisch an.
Gegen halb acht Uhr morgens fuhr mein Zug in Hospet ein. (Hampi selbst hat keinen Bahnhof.) In Rekordzeit sprang ich ins erste Tuktuk, verließ es drei Minuten später und sprang nach fünf Sekunden am Busbahnhof in den Bus nach Hampi, der sich direkt vor mir materialisierte. Natürlich hatte der Tuktuk-Fahrer versucht, mich von der Busfahrt abzubringen, um mich selber nach Hampi zu bringen. Er log mir vor, der Bus wäre immer voll und die Fahrt dauerte eineinhalb Stunden. Die angenehme Wirklichkeit war: Der Bus war halbleer und die Fahrt dauerte fünfundzwanzig Minuten. That’s India.
Jedenfalls erreichte ich kurz nach acht Uhr das kleine Dorf von Hampi, das mit seinen Holzhütten inmitten steinerner Ruinen und riesiger Felder noch kleiner wirkt, als es ist. Ich fand rasch eine passable Unterkunft und ein gutes Frühstück. Schnell war ein Fahrrad ausgeliehen und los ging das Abenteuer.
Zuerst wollte ich den Osten der Ruinenstadt erkunden. Rasch erwies sich mein Fahrrad auf den spaltenreichen Pflasterstraßen des fünfzehnten Jahrhunderts mehr hinderlich als förderlich. Ich ließ es in der Obhut einer von den Jahrhunderten verwitterten Nandi Statue zurück und erklomm auf Sandalen den kleinen Pass unterhalb des Matangahügels. Und wen fand ich hier inmitten von Felsen und Ruinen? Es war Craig der Australier, mit dem ich vor über einer Woche am Bahnhof von Varkala so nett philosophiert hatte.
Gemeinsam mit einem Polen und einer Britin erwanderten wir den Vittala Tempel, eine der besterhaltenen Ruinen von Hampi. Die kunstvollen Steingravuren zeigten einmal mehr Szenen der Ramayana, welche zu Hampi eine besondere Verbindung hat. Gemeinhin wird dieser Ort mit der mythischen Stadt Kishkinda identifiziert, Heimat des Affenkönigs Sugriva. Tatsächlich gibt es hier sehr viele Affen (Languren, Rhesusaffen und andere Verwandte). Hampi gilt auch als Geburtsort von Hanuman. Man meint sogar, den Hügel zu kennen, auf dem dieser Held der Ramayana als Sohn des Windgottes und einer Affendame geboren wurde. Vom Vittala Tempel aus kann man den Hügel gut sehen. Noch mehr angetan war ich aber vom einsamen, knorrigen Baum auf dem Tempelgelände.
Wieder allein kletterte ich eine Stunde lang durch die Felsen am Flussufer und entdeckte dabei einige verborgene Schreine, Gravuren im Stein von Yonis, Lingams und mehr, sowie ein paar Schilder, die vor Krokodilen warnen. An einer Stelle führte mich mein Weg sogar durch eine Höhle, in welcher ein paar Sadus um Geld baten.
Zurück bei meinem Fahrrad schwang ich mich auf den Sattel und erkundete binnen drei Stunden die Ruinen im Süden, wo sich das eigentliche Zentrum der königlichen Macht befunden hatte. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir die zauberischen Spiegelungen im teils überfluteten Shiva-Tempel, die besagten Elefantenstallungen, die hohe Statue der Vishnu-Inkarnation Lakshimi Narasmiha, die hohe Plattform von Mahanavimi-diiba inmitten des Ruinenmeers, das pittoreske Lotos-Mahal und das Bad der Königin. Kurz stürzte ich mich auch noch in den dichten Verkehr der nahen Stadt Kamalapuram, um das dortige Archäologische Museum zu besuchen. Dessen Hauptattraktion ist (neben vielen Skulpturen) ein großes 3D-Model von Hampi, seiner Landschaft und seinen Palästen.
Drei von geschmückten Rindern gezogene Zweispänner überholend brauste ich bergab zurück nach Hampi. Dort gönnte ich mir ein spätes Mittagessen aus Fruchtsaft und Momos. Wieder einmal ist im ganzen Ort (außer vielleicht in versteckten Kellerkneipen, deren Suche mir zu anstrengend ist) kein Bier zu finden. Aber wer braucht das schon, wenn es hier doch köstliche Lichy-Apfel oder Kiwi-Ananas Säfte gibt. Allgegenwärtig ist auch hier das Haschisch. Besonders deutlich wird das anhand der Händler die abends über den Aussichtshügel streifen und lautstark ihre Waren anpreisen: „Water? Joint? Water? Joint?“ – so als wären beide die selbstverständlichsten Waren der Welt.
Nach kurzer Nachmittagspause besuchte ich schließlich den großen Virupaksha Tempel, welcher ebenso aus dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert stammt, aber im Unterschied zu allen übrigen Bauten jener Zeit nachwievor genutzt wird. Da der Preis stimmte ließ ich mich von einem zertifizierten Guide eine halbe Stunde lang durch die Gewölbe führen. Er erklärte mir die Symbolik der Gravuren auf dem fünfzig Meter hohem Torturm und an allen anderen Ecken und Enden. An vielen Stellen unterbrach ich den Guide, da er mir nicht viel Neues erzählte. Man kennt sich inzwischen ja ein bisschen aus. Einiges lernte ich aber doch hinzu. Im Allgemeinen war es einer der interessanteren Tempelbesuche dieser Reise. Der Tempelelefant Lakshmi scheint sich hier jedenfalls sehr wohl zu fühlen. Er beschnupperte neugierig meine Hand.
Der Tag neigte sich dem Ende zu. Die Sonne schwebte dem Horizont entgegen. Ich erklomm den Hemakuta Hügel im Süden des Tempels. Hier lag ich lange auf warmen Stein zwischen Felsen und Ruinen und betrachtete den Himmel und die wunderschöne Aussicht. Die Landschaft wurde zunehmend rötlicher. Die Welt wurde ruhiger. Man darf hier nicht zu lang die Augen schließen, denn die Affen sind flink. Ich sah, wie einer zwei kurz unachtsamen Damen die Wasserflasche entwendete. Lang saß das Äffchen auf einem Felsen und rätselte wie es die Flasche nun aufkriegen sollte. Schließlich gelang es. Etwas später sollte ich dann noch eine Lemurendame sehen, die samt Nachwuchs (letzere am Hals hängend) einen Russen ansprang, ihm seine eben gekauften Bananen entwendete und diese gierig verschlang.
Doch zurück zum Hemakuta Hügel. Die Sonne senkte sich leuchtend rot dem Horizont entgegen. Ich stand zwischen Felsen, Affen, schönen Rindern und Ruinen und sah ihr dabei zu. Der schönste Sonnenuntergang der bisherigen Reise an einem der faszinierendsten Orte, an denen ich je gewesen bin. „Eppur si muove“ in den Ohren hüpfte ich den Hügel hinab.