61 Chennai II

Der Tag begann mit dem Besuch des Government Museums, dem bisher besten dieser Reise. Man findet viel darin. Zoologie, Astronomie, Anthropologie, Archäologie, klassische Kunst, zeitgenössische Kunst, etc. Auch architektonisch geben die Museumsgebäude einiges her. Man kann hier Stunden verbringen. Und das hab ich auch getan. Der Kugelsternhaufen mit der Beschriftung „Big Bang“ tat ein bisschen weh. Dafür waren die vielen Tierskelette famos, vor allem die Riesenpython oder die Gegenüberstellung eines menschlichen Skeletts und dem eines riesigen, sich aufbäumenden Pferdes. Beide sind so montiert, als wollte der Mensch das Tier eben bändigen und seinen Rücken erklimmen. Erstaunlich anzusehen. Interessant waren auch die vielen Relikte der frühen dravidischen Kultur.

Ein kurzer geschichtlicher Ausflug: Laut der gängigsten Theorie (nicht unumstritten) wurde die Geschichte Indiens stark von der arischen Invasion etwa 1500 vor Christus geprägt. Die Arier, ein indoeuropäisches Volk aus der Gegend von Afghanistan und Zentralasien (nicht blond und blauäugig) brachten Hinduismus und Kastensystem nach Indien und vermischten sich mit der früher vorherrschenden Bevölkerung. Allein der Süden Indiens (vor allem Tamil Nadu, Kerala, Karnataka und Andhra Pradesh) blieben von der arischen Invasion unberührt. Die hier gesprochenen Sprachen (das Tamil, das Malayalam, das Kannada und das Teluga)  sind auch nicht mit dem indoeuropäischen Hindi verwandt. Traditionell ist man hier im Süden auch immer schon gegen das Kastensystem gewesen, da dieses die arisch beinflusste, eher hellhäutigere Bevölkerung im Norden bevorzugt. Vor allem hier in Tamil Nadu ist man stolz auf die dravidische Herkunft und meint das ursprüngliche Indien zu repräsentieren. Immer wieder gab und gibt es Abspaltungsbewegungen. Vom Norden übernommen wurde der Hinduismus. Kaum irgendwo in Indien findet man so glühende Shivaverehrer wie hier in Tamil Nadu.

Im Museum sah ich nun viele Relikte dravidischer Kultur.  Ausgestellt sind aber auch römische Keramiken, die es auf Handelswegen hierher geschafft haben.

Ein besonderes Highlight war die dreistöckige Bronzegalerie, nicht nur wegen der schönen Skulpturen, sondern auch wegen der sehr übersichtlichen Erklärung und Gliederung. So galt ein Stockwerk dem Shivakult, eines dem Vishnukult. Schautafeln bringen Licht ins Gewirr der vielen Namen, die beide Götter je nach Körperhaltung, Stimmung und Begleitung haben können. Mir ging so manch ein Licht auf. Interessant ist, dass es in Indien nie namhafte Konflikte zwischen Shaiviten und Vaishnaviten gab. Immerhin glaubt eine jede Gruppe, dass ihr Gott der mächtigere ist.

Besonders in der Astronomieabteilung fiel mir einmal mehr die Verwendung der eigentümlichen numerischen Einheit des Lakh auf, welche nicht nur in Indien sondern auch in manch umliegenden Kulturen verbreitet ist. Die Million wird kaum verwendet, denn eine Million sind zehn Lakh. Die Erde ist nicht vier Milliarden Jahre sondern vierzigtausendtausend Lakh Jahre alt. Der Durchmesser der Milchstraße sind ein Lakh Lichtjahre.

Ich floh vor der Mittagshitze zurück ins Hotel und ließ mich Stunden später von einer Riksha zum Fort St. George bringen. Da hier auch mehrere Regierungsgebäude und eine Kaserne untergebracht sind, ist das alte Fort der Briten schwer bewacht. Besucher dürfen sich nur auf einem sehr kleinen Areal bewegen und Museum und Kirche besuchen. Beide sind nicht besonders aufregend. Die Gemäldegalerie mit ihren Darstellungen britischen Monarchen war jedoch beeindruckend genug, sodass der Besuch sich lohnte.

Vom Fort spazierte ich noch zum wahrscheinlich schönsten Gebäude der Stadt, dem 1892 vollendeten High Court mit seinem roten „indo-sarazenischen“, hochaufragenden Türmen und Gewölben. Wirklich beeindruckend schön – auch wenn man leider nicht hinein darf.

Per Stadtbus fuhr ich im Sonnenuntergang zurück zum Hotel.
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