Eine Inszenierung entsteht …

Die fünf Tage vom 24. bis zum 28. Dezember 2023 werden mir als ganz besonderes Erlebnis in Erinnerung bleiben. Fünf bis sieben Stunden täglich brachte ich dabei zu, je einen der fünf Akte Hamlets zu kürzen, zu bearbeiten und für unser Kufsteiner Publikum genießbar zu machen. Ich verglich die Originaltexte mit unterschiedliche Übersetzungen ins Deutsche, studierte manche Aufnahme von Produktionen in England und anderswo, recherchierte Hintergründe und die Bedeutungen alter Redewendung.

Wie ein Stück, das ungekürzt und in verträglichem Tempo gespielt über fünf Stunden dauern würde, auf die Hälfte dieser Zeit herunterkürzen? Welche Übersetzung soll man wählen? An welchen Stellen darf man etwas freier übertragen? Auf welche Aspekte der unglaublich komplexen Handlung soll man den Fokus setzen? Wie soll man eine vierhundert Jahre alte Sprache für modernes Publikum verständlich und zugleich auch spannend gestalten, ohne dabei auf den Charme und Klang der Shakespeare’schen Poesie zu sehr verzichten zu müssen? Wie passt das Stück auf die Bühne unseres Kultur Quartiers?

Nach „Viel Lärm um Nichts“ (2008), „Ein Sommernachtstraum“ (2019) und „Richard III“ (2020) ist dies mein viertes Shakespeare-Stück, das ich in Kufstein inszeniere. Ich habe „Hamlet“ wohl schon in acht verschiedenen Produktionen auf Deutsch und Englisch gesehen, das Stück immer wieder mal gelesen, mich mit reichlich Sekundärliteratur vertraut gemacht – und doch: Es war erstaunlich, wie viel Neues man entdeckt, wenn man den ganzen überlieferten Text (sei’s Folio, sei’s Quarto) Zeile für Zeile durchgeht, überprüft, vergleicht und dann entscheidet, was sich wann und wie genau in unserer Kufsteiner Fassung wiederfinden soll. Zurecht wird dieses Stück fast immer zuallererst genannt, wenn man die bedeutendsten Theaterstücke der Weltliteratur listen will. „Hamlet“ ist einzigartig, ist wunderbar, ist unnachahmlich – und je mehr man sich damit beschäftigt, desto höher schätzt man den Shakespeare’schen Genius, der in diesem Stück in reinster Form zu Tage darin. Auch die Passion für das Theater, die dieser Künstler in sich trug, wird darin offenbar. Das „Stück im Stück“ – die Szene mit dem fahrenden Theatervolk – beinhaltet sogar eine heute noch gültige Anleitung guten Theaters, die sich mit vielen Ansätzen der Gegenwart deckt: „Natürlich“ spielen, nicht übertreiben, wahrhaftig sein in einer Welt der Fantasie.

Jetzt bin ich durch. Die Rohform steht. Über 30.000 Wörter wurden auf knapp über die Hälfte heruntergestrichen. Szenenfolgen wurden leicht geändert, Geschlechter vertauscht, Rollen gestrichen, nicht mehr verstehbare Anspielungen durch Anspielungen auf Zeitgenössisches ersetzt. Und bei allen Änderungen folgte ich doch stets dem gefühlten Credo, dass mein Eingriff nur so weit gehen darf, als der Autor damit einverstanden wäre. Gewiss lässt sich Shakespeare nicht mehr fragen, doch alles, was ich von ihm weiß, lässt mich doch hoffen, dass er wohl seine Freude hätte, mit dem, was ich aus seinem Stück gemacht.

Wenn die erste Probe beginnt, ist die Hälfte aller Arbeit schon getan. Die vergangenen fünf Tage waren mir jedenfalls eine ungeheure Freude und ein einzigartiges, intensives Erlebnis. Und morgen werd ich Skifahren gehen. Der Rest ist Schweigen.