Dieser Roadmovie-Roman der Zwischenkriegszeit mit freudianischen Abgründen führte mich in den letzten Monaten von den französischen Schützengräben im ersten Weltkrieg über verlassene flandrische Dörfer, zurück nach Paris in ein Asyl für Kriegsversehrte, dann – und völlig unerwartert – in den afrikanischen Dschungel, weiter nach New York City und Detroit in eine Ford’sche Autofabrik. Und schließlich zurück nach Frankreich – nach Toulouse und Paris in Armenviertel und ins Irrenhaus.
Am Wegesrand: der Wahnsinn des Krieges, das Elend der Großstadt, die zerstörerische Kraft des Kolonialismus, der Lärm der Mechanisierung, das Leid der Armen und vor allem eins: die Nacht. Viel Nacht und Dunkelheit liegt in den Seiten dieses Romans verborgen. Immer tiefer blickt man hinein in die Schwärze, die Stille der Nacht – die nicht immer still ist, sondern auch mitunter laut und gellend wie der Dschungel. Immer verzweifelter, aber auch lethargischer wird der Lebensvollzug des einsamen Protagonisten – Ferdinand Bardamu – eines Anti-Helden sondergleichen. Ein gelegentliches Aufblitzen von Humor – gleich seltenen Sternschnuppen in der Finsternis – darf dabei nicht fehlen. Auch Ironie und der Reiz des Absurden lauern im Dunkeln dieses Romans. Am Horizont aber erhebt sich unaufhaltsam das Gespenst des Nihilismus.
Von diesem Buch wurde gesagt, es vereine Remarques „Im Westen nichts Neues“, Conrads „Herz der Finsternis“ und Steinbecks „Die Früchte des Zorns“ und das mag wohl so sein. In Erinnerung bleibt mir vor allem die Figur des Léon Robinson – sein Name wohl nicht zufällig gewählt, der gleichsam als voraus- und später nacheilender Schatten unseren Protagonisten über die Kontinente begleitet. Spannende Interpretationsmöglichkeiten tun sich auf. Nicht alles in diesem Roman ist im Realen angesiedelt. Céline kehrte sich allmählich ab vom Naturalismus seiner Epoche und stärkte die Bedeutung von Traum, Symbol und Fantasie.
Erschütternd ist nach dem Lesen eines deratig guten Romans, bei der Recherche feststellen zu müssen, dass sein Autor in späteren Jahren zum glühenden Antisemiten, Faschisten und Hitler-Verehrer mutierte. Derlei Ideologien sind im Buch aber nirgends sichtbar. Ganz im Gegenteil. Eine erstaunliche Wandlung. Auch bei Houellebecq tut man sich schwer, seine Gesinnung aus seinen Romanen herauszulesen. Oft meint man gar, darin das Gegenteil zu sehen.
Jedenfalls ist „Voyage au bout de la nuit“ ein wunderbarer Roman: unsagbar spannend und voller Poesie – der Poesie der Nacht. Die vielen Slang-Ausdrücke machen das Lesen in französischer Sprache allerdings zur Herausforderung. Mit etwas Beharrlichkeit erfährt man dabei aber eine umfassende Vokabularerweiterung.